Logik der Macht
Zum Ort der Kritik zwischen Theorie und Praxis
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
›Macht‹ ist ein Grundbegriff der Sozialwissenschaften.
Und doch ist kaum ein Begriff in seiner Bedeutung
umstrittener. Denn die Definition des Machtbegriffes
hat Implikationen für die Frage nach der Legitimität
sozialer Verhältnisse. Zum einen fungiert ›Macht‹ als
Kategorie der Beschreibung sozialer Phänomene; der
sozialwissenschaftliche Beobachter bezeichnet damit in
objektivierender Perspektive spezifische soziale Verhältnisse.
Zum anderen ist der Machtbegriff normativ nicht
unschuldig; ob soziale Beziehungen vermachtet sind, lässt
sich nur anhand von Wertmaßstäben entscheiden, deren
Gültigkeit letztlich vom Urteil der beobachteten Gesellschaftsmitglieder,
also der Perspektive der Teilnehmer an
gesellschaftlicher Praxis abhängt.
Die Logik der Macht besteht im Verhältnis beider Perspektiven.
In Bezug auf die Frage, welche sozialen Beziehungen
als Machtbeziehungen zu verstehen und folglich
legitimationsbedürftig sind, lässt sich kein prinzipielles
Kriterium begründen, welches das unablässige Hin und
Her zwischen dem objektivierenden Blick des sozialwissenschaftlichen
Beobachters und der gleichwohl vorrangigen
Perspektive der Teilnehmer der gesellschaftlichen
Praxis stillzustellen vermag. Allein solch eine perspektivendualistische
Machttheorie, so die zentrale These des
Buches, erlaubt eine Analyse sozialer Beziehungen, die
die bestehenden Machtverhältnisse weder gegen Kritik
immunisiert noch in ein kryptonormatives Projekt mündet,
welches alle nur denkbaren normativen Maßstäbe
entwertet.
Das erste Kapitel führt den Machtbegriff ein, diskutiert
die klassischen sozialtheoretischen Überlegungen zu
diesem Konzept und behauptet einen Verweisungszusammenhang
von Macht und Legitimität: Aussagen über
Machtverhältnisse sind Aussagen über die Legitimität
sozialer Beziehungen. Diese Behauptung wird anhand
einer Rekonstruktion zweier Traditionen begründet, die
jeweils eine gesellschaftliche Funktion von Macht betonen,
nämlich Repression oder Konstitution. Weil beide
Funktionen sich gegenseitig bedingen, konzentrieren
aktuelle machttheoretische Bemühungen sich auf das
Problem ihrer Vermittlung. Dabei manövrieren sie sich
jedoch in die unbefriedigende Alternative von orientierungslosem
Deskriptivismus und kryptonormativer
Machtkritik. Diese These wird im zweiten Kapitel an
jüngeren machttheoretischen Ansätzen diskutiert, die
zu einer Ausdifferenzierung unterschiedlicher Machtdimensionen
führen, hinter die keine Analyse mehr
zurückfallen kann. Das Kernproblem besteht dabei in
der Diagnose, dass es keinen unvermachteten Ort im
Sozialen gibt.
Allerdings deutet sich bei Pierre Bourdieu ein Ausweg
an: eine perspektivendualistische Reformulierung des
Problems. Dass die Tradition der Ideologiekritik eben darum
bemüht ist, ist die These, die im dritten Kapitel an der
frühen Kritischen Theorie und im vierten Kapitel an der
Spätkapitalismustheorie Claus Offes verfolgt wird. Dabei
zeigt sich die Zweistufigkeit des ideologiekritischen
Programms: Machtanalyse des sozialwissenschaftlichen
Beobachters in einem ersten Schritt, Validierung seiner
Hypothesen durch die Praxis der Gesellschaftsmitglieder
in einem zweiten. Diese Konzeption bleibt freilich in
mehreren Hinsichten unterkomplex.
Ein angemesseneres Verständnis entwickelt erst Jürgen
Habermas, der die ideologiekritische Problematik in einen
avancierteren theoretischen Rahmen übersetzt. Die
Kombination von Soziologie und Philosophie gestattet
ihm, sich im Rahmen der Theorie der Teilnehmerperspektive
anzunehmen und letztere nicht mit der Praxis
zu identifizieren, wie im fünften Kapitel ausgeführt
wird. Dabei gelingt ihm zunächst freilich noch nicht die
Vermittlung von Theorie und Praxis. Das komplexe Verhältnis
von objektivierender Machtanalyse, theoretischer
Rekonstruktion der Teilnehmersperspektive und der
Praxis der Gesellschaftsmitglieder erfasst erst Habermas’
Konzept der deliberativen Demokratie, Gegenstand des
sechsten Kapitels.
Dabei komme ich freilich zu dem Schluss, dass die prozedurale
Kritik der Bedingungen, unter denen Akteure
einen politisch folgenreichen Willen bilden, zu einer
welterschließenden Kritik der Bedingungen radikalisiert
werden muss, unter denen Subjekte ihre Identitäten ausbilden.
Den Leitgesichtspunkt dieser Kritik gibt die Idee
einer Reflexivität zweiter Ordnung ab: einer Reflexivität,
die sich nicht nur auf die Gründe des Handelns erstreckt,
sondern auch noch die Ursachen erfasst, aufgrund derer
Akteure Gründe als gute Gründe erachten. Die Reflexivität
zweiter Ordnung ist ein umstrittenes liberales Ideal;
angesichts der Alternative, gesellschaftliche Macht nur
um den Preis einer partiellen Machtblindheit zu zähmen,
wird dafür plädiert, die Parteilichkeit für Autonomie
nicht zugunsten eines vordergründigen Neutralitätspostulats
aufzugeben.
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