Friedrich Wilhelm Gotters (1746–1797) Mariane war ein riesiger Bühnenerfolg, nicht nur in Berlin, Hamburg oder Mannheim. Von Altona bis Agram (Zagreb), von Riga bis Rinteln wurde das am 6. Dezember 1775 in Gotha uraufgeführte Stück auf allen deutschsprachigen Theatern gegeben. Gotter verwandelt die sperrigen Alexandriner seiner Vorlage – Jean-François de la Harpes Tragödie Mélanie ou la Religieuse (1770) – in einen natürlichen Konversationston. Von der Kritik am Klosterzwang nimmt er aber nichts zurück. Der herrische Vater, der seine Tochter gegen ihren Willen ›einkleiden‹ lässt, um sie so von jeder Liebe fernzuhalten und zugleich den einzigen Sohn erblich zu begünstigen, steht in krassem Widerspruch zu allen empfindsamen und verzeihenden Hausvätern der Zeit – von Sir William Sampson über Eduardo Galotti bis zum Musikmeister Miller. Bei Gotter fordert ausgerechnet ein Geistlicher die Aufhebung sklavischer Klostergelübde, entsprechend feiert Nicolais antikatholische Allgemeine deutsche Bibliothek dieses »vorzügliche Produkt der deutschen tragischen Muse«.weiterlesen