Martin Praska – Short Stories
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
I’ll tell you what freedom is to me. No fear. ()
Martin Praska – Short Stories. Eine Entgleisung
Natürlich hat jedes Bild seine eigene Geschichte. Was denken Sie? Aber ich werde mich hüten, Sie Ihnen auf die Nase zu binden. Auch ein Künstler hat seine Privatsphäre. Und die Bilder – zumal selbst gemalte – sind eine intime Angelegenheit. Dass ich sie öffentlich zur Schau stelle, ist des Exhibitionismus genug. Allfällige Deutungsversuche müssen zwingend an professionelle Stellen delegiert werden, von denen man sich gegebenenfalls auch wieder distanzieren kann. Als da sind studierte Kunsthistoriker und Theoretiker und Philosophen. Die Psychologen und Soziologen nicht zu vergessen! Ich meine das gar nicht despektierlich, im Gegenteil, gehe ich doch gerne selber dem allzumenschlichen Bedürfnis nach, partout immer und überall etwas erkennen zu wollen und aus dem Gesehenen meine Schlüsse zu ziehen. Ein Produkt der Evolution letzten Endes. Für das Gewitter muss der alte Zeus verantwortlich sein. Wahrscheinlich ist er wieder wütend.
Ach ja, die griechische Mythologie! Heute wissen wir es besser. Es war der liebe Gott. Die Aufklärung hat nämlich dem Aberglauben den Kampf angesagt. Und sie hat damit nicht nur die moderne Physik, sondern auch die moderne Kunst erst ermöglicht. Denn da wie dort lautet seitdem das Prinzip „Trial and Error“. Versuch und Irrtum. Hatten zuvor noch Heilige, Propheten und Könige das Sagen, so betrat nun mit einem Mal das Genie diverser Herkunft, diverser Körperlichkeit und diverser Persönlichkeitsstrukturen die Bühne. Das Individuum, zweifelhaftes Subjekt menschlicher Verfasstheit, brachte ganz eigene und immer neue Vorstellungen von Gut und Böse, Richtig oder Falsch aufs Tapet. Wissenschaft und Kunst wurden demokratisiert, ja am Ende sogar die Heilkunde. Und alle wurden sie sogleich auch zur Diskussion gestellt. Aber damit auch fehleranfällig, weil kritisierbar. Das ist gut, denn aus Fehlern wird man klug. Was dagegen keinen hat, das ist wahrscheinlich ein einziger solcher. Ein Irrtum. Denken Sie nur an die Homöopathie! – Ich schweife ab. Verzeihung! Eine angeborene Konzentrationsschwäche. Nicht ohne Grund habe ich Kunst studiert und nicht Juristerei.
Was wollte ich sagen? Wir sind geneigt, lieber zu finden als zu suchen. Wir wollen alles und jedes auseinander dividieren und nach Verwertbarkeit sortieren, trennen wie unseren Hausmüll. Aber natürlich auch neu kombinieren und zusammendenken, was sich gefunden hat und sich bindet, bis dass der Tod es scheidet. Träumen Sie manchmal von einer brennenden Scheune? Na, da haben Sie aber eine lebhafte Libido! Leiden Sie unter Kopfschmerzen? Sie denken zu viel. Haben Sie einen harten Stuhl? Nehmen Sie ein Polster! Jeder Furz hat etwas zu sagen und alles muss irgendwie eine Bedeutung haben. Sogar das Leben von Tante Hildegards Pudel. Die ewige Sinnsuche hat Religionen geschaffen, die wir – einmal rechtzeitig verabreicht – so leicht nicht mehr loswerden. Dann kamen auf einmal Wassily Kandinsky und der andere Russe, wie hieß er gleich, der mit dem schwarzen Quadrat, daher und haben gemalt, was nicht zu sehen war, doch jeder zu erkennen glaubte. Endlose Assoziationsketten! Lesen Sie diesen Text zuende! Schwadronieren und Spintisieren auf höchstem Niveau. Ich meine das nicht despektierlich. Das auch nicht. Ich arbeite so. Mische und mixe nach Gutdünken wie ein Disc Jockey.
Die abstrakte und informelle künstlerische Praxis hat der Neigung zum Fabulieren zwar entgegenzuwirken versucht, umso mehr aber ist darob die Interpretationslust erst zur Blüte gelangt. Der Schuss ging nach hinten los. Und Susan Sontag, die Grande Dame der Kopflastigkeit, wurde ungehalten.
Wie ein Wutausbruch mutet da ihr Spruch an, wir bräuchten „keine Hermeneutik, sondern mehr Erotik in der Kunst“. Also mehr Sinnlichkeit statt Intellektualität. Dass doch endlich wieder eine Göttin Blitze schleuderte! Ein Gewitter die trockene Theorie durchnässte. Wie lange ist das her? Es müssen die Sechzigerjahre gewesen sein. Die Beatles gaben ihr letztes Konzert und sangen Tomorrow Never Knows.
Nun blättern Sie im vorliegenden Katalog und denken sich, dass da einer die Quintessenz von Sontags Essay „Against Interpretation“ allzu wörtlich genommen hat. Es sei Ihnen unbenommen! Was ich mir nicht schon so alles habe anhören können! In Zeiten der Korrektheiten und Sensibilisierungen. Malen Sie ein Pin Up-Girl, und Sie sind geliefert. Heutzutage. Da „objektifiziert“ einer die Frau. Sexist, Wüstling, widerlicher! Und wahrscheinlich ist Ihnen auch schon längst aufgefallen, dass ich meine Worte nicht gendere, nicht gegendert habe. Die Entscheidung, es nicht zu tun, war einzig der Frage nach besserer Lesbarkeit und erhöhter Sinnlichkeit geschuldet. Ganz ehrlich, ich habe es versucht. Unverständliches Zeug! Sch… drauf! Korrektes Deutsch ist ein harter Stuhl.
Verständlich will man ja schon sein als Künstler. Nicht wahr. Und sehen Sie, schon verwickelt man sich in Widersprüche! Nichts sagen und doch verstanden werden wollen! Aus dieser Ambivalenz entstehen meine Bilder. Apodiktische Urteile sind meine Sache nicht. (Ok, es gibt Ausnahmen.) Kein Entweder-Oder, vielmehr ein Sowohl-Als-Auch. Ich kultiviere die Mehrdeutigkeit. Die Ambiguität. Den Zweifel. Und ich war mir meiner Sache, der gepflegten Unsicherheit nämlich, bisher sehr sicher. War es nicht seit jeher Aufgabe der Kunst, der modernen Kunst allemal, uns zu denken zu geben? Sollte sie nicht sämtliche Wahrheitsansprüche zurückweisen? Und zwar brüsk! – Bis heute Morgen war das jedenfalls so. Doch was die nächste Woche und die nächsten Jahre betrifft, da plagt mich die schiere Existenzangst. Denn neuerdings sollen ja die Zwischentöne einem neuen Schwarzweiß weichen. Allenthalben Totalitarismus von Moralität und Neo-Biedermeier.
Leute, ich probe den Widerstand. Wie einen Bannfluch stelle ich die Kunst vor jeglichen Dogmatis mus, vor ideologischen Eifer und vor Rechthaberei. Auch deswegen setze ich mich hiermit dem Vorwurf aus, nicht auf der richtigen Seite zu stehen. Auf der falschen stehe ich nämlich schon von Geburts wegen. Denn ich bin weiß, männlich und auch nicht mehr der Jüngste. Das San Francisco Museum Of Modern Art wird in absehbarer Zeit kein Bild von mir kaufen. Dort musste der Chefkurator seine Koffer packen, weil er auch weiterhin von weißen Leuten Kunst kaufen wollte. Auch! Nicht nur! Und nicht einmal überwiegend. Nun, sagte einst Karl Valentin, es sind schon so viele Leute gestorben, und ich werd’s auch überleben.
Hier sind meine Short Stories. To whom they may concern. Machen Sie sich Ihre eigenen Gedanken und unterstellen Sie mir, was Sie wollen! Ich berufe mich auf mein Recht, die Aussage zu verweigern. Insbesondere, wenn sie gegen mich verwendet werden kann. Ab jetzt tragen Sie die Verantwortung. Nicht nur die Schönheit, auch die Sinnhaftigkeit liegt im Auge des Betrachters. Vor allem aber die Verantwortung. Machen Sie sich selber ein Bild! Ich bin gespannt, ob Sie es schaffen, ohne zu objektifizieren.
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