Marx meets Wilson
Der Philosoph und der Lokomotivführer der ersten deutschen Eisenbahn
Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)
Hermann Glaser: Zu diesem Buch; Johann Schrenk: Karl Marx – Die Vita; Jürgen Franzke: Die Ludwigs-Bahn – Deutschlands erste Eisenbahn, Warum Nürnberg? – Wie die erste deutsche Eisenbahn in die alte Reichstadt kam, Der Adler – eine Lokomotive aus England, Die Stephenson Railway Company, Der Bau der Adlerstrecke, William Wilson –- der erste deutsche Lokführer – ein Engländer, Die Spaeth’sche Fabrik, Der Ludwigsbahnhof am Plärrer, Der zweite Ludwigsbahnhof, Die Ludwigsbahn bis 1922, Die Wiedergeburt des Adlers 1935; Regine Franzke: Die Strecke des Adlers - Zur Geschichte der Fürther Straße; Karl Marx/Friedrich Engels: Statistische Betrachtungen über das Eisenbahnwesen, Die Eisenbahn – das begehrliche Objekt der Spekulation, Fixes Kapital und zirkulierendes Kapital; Johann Wolfgang von Goethe im Gespräch mit Johann Peter Eckermann; Hermann Glaser: Marx meets Wilson. Eine historische Fantasie; Hendrik Bebber im Gespräch mit Basil Bollock/ Universität Oxford
Hermann Glaser zu diesem Buch:
In der abendländischen Kultur- und Geistesgeschichte kommt es immer wieder vor, dass Ereignisse bzw. Vorgänge sich als wirkungsmächtig erweisen, die gar nicht stattgefunden haben, sondern aus verschiedenen Gründen erfunden bzw. erdacht und dann verbreitet wurden.
So dürfte zum Beispiel der Bericht über seine Reise an den Hof des Mongolenherrschers Ende des 13. Jahrhunderts, die der Venezianer Marco Polo als genuesischer Gefangener einem Gefährten diktierte und dadurch großes Aufsehen fand, mehr seiner Fantasie zuzuschreiben sein, als dass er alles real erlebt hätte.
Im 18. Jahrhundert erregte der schottische Dichter James Macpherson Aufsehen, als er vorgab, alte gälische Lieder des blinden Helden und Sängers Ossian entdeckt zu haben; sie waren aber seiner Feder entsprungen.
Am bekanntesten dürfte die fingierte Besteigung des Berges Mont Vendoux durch Francesco Petrarca 1336 geworden sein, da der schweizerische Jakob Burckhardt sie in seinem Werk „Die Kultur der Renaissance in Italien“ als wichtigen Markstein für den Beginn der Renaissance und damit der Neuzeit bezeichnete (und zitierte).
Petrarca behauptete, er habe sofort nach der Rückkehr seinem geistlichen Mentor, dem Augustiner Francesco Diongi, in einem Brief davon berichtet. „Den höchsten Berg unserer Gegend, der nicht unverdienterweise der windige (ventosus) genannt wird, habe ich gestern bestiegen, lediglich aus Verlangen, die namhafte Höhe des Ortes kennenzulernen.“
Die Erfahrung der Weite des Raumes eröffnete eine neue ästhetische Dimension. Als Künstler zwischen Mittelalter und Neuzeit empfand Petrarca den Gipfelblick als Faszination und Versuchung. „Ich war wie betäubt, ich gestehe es.“ Die gewaltige Aussicht von den Alpen bis nach Marseille und zur Rhône, ja fast bis zu den Pyrenäen, zeigte ihm die Schönheit des Irdischen; doch regte sich beim Dichter auch „schlechtes Gewissen“: Eigentlich sei nichts bewundernswert, außer der auf Gott ausgerichteten inneren Welt. Durch Meditation versuchte Petrarca, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Dabei schlug er schuldbewusst den mitgenommenen „Gottesstaat“ des Augustinus auf, in dem es heißt, dass der Mensch sich schämen müsse, wenn er die Gipfel der Berge, die ungeheuren Fluten des Meeres, die weit dahin fließenden Ströme, den Saum des Ozeans und die Kreisbahnen der Gestirne statt der menschlichen Seele bestaune.
Heute weiß man, dass der Brief erst 17 Jahre später entstand – der vorgegebene Adressat war bereits zehn Jahre tot; fraglich ist ebenso, ob Petrarca überhaupt auf dem Berg war: Ein frühes Beispiel also für virtuelle Realität.
Goethe hat mit dem Titel seiner Autobiografie die „Fließstruktur“ von Realität und Fantasie benannt: „Dichtung und Wahrheit.“
Mit den Texten dieses Buches changieren auch wir zwischen facts und fakes*, ein „Spiel“, zu dem wir die Leserschaft einladen.
Insgesamt kann eine Bemerkung Goethes in seinen „Maximen und Reflexionen“ als Motto den Beiträgen dieses Bandes vorangestellt werden: Wir seien aufgefordert, das „Vergängliche unvergänglich zu machen“ – also in angemessener Form Bilanz zu ziehen, weil man das Gegenwärtige nicht ohne das Vergangene erkennen könne.weiterlesen
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