Dieses Buch schwebt über den literarischen Genres. Es ist die Schrift eines Homme de lettres und Hochschullehrers, genauer: eines Lesers der Literatur der Moderne, aus der laut Kafka »die Gespenster der Nacht« sich nicht mehr vertreiben, geschweige denn bannen lassen. Eines Lesers, der zum Resonanzraum seiner Lektüren wird, welche sich wiederum als integrale Bestandteile in seine Biographie einsenken. Zitate kommentieren Autobiographisches, Literarisches lenkt Leben – und daraus entsteht eine Polyphonie der Stimmen, die einen ganz eigenen Textstrom mit sich bringt mit Sogqualitäten. Unentscheidbar oft, ob ich mich als Leser in einer autobiographischen Sequenz, ob in einem Traum, einer Halluzination des Autors oder inmitten einer literarischen Fiktion befinde – oder bereits in der eigenen Imagination: Die Innenwelt wird zur Außenwelt der Literatur – ununterscheidbar, wer hier was oder was wen bewegt. Die Bewegung in der Lektüre, das Bewegtwerden durch die Lektüre – es ist immer ein Dialog mit den Toten [nicht eben nur der geliebten persönlichen], deren Präsenz ihn lebendig, eben Dialog werden lässt: Ries’ Gewährsleute, mit denen er ins Gespräch kommt, sind [neben den Eltern] Kafka, Nietzsche, Strindberg, Tschechow, Dostojewski, Schopenhauer, Pavese, ebenso aber auch Bildnisse von Malern wie Balthus, Chagall, Beckmann und Musiken von Mozart, Mahler, Bach. Gleich ob es sich um die Sprachen der Musik, Lyrik oder Philosophie handelt: entscheidend ist die Evokation einer zweiten Wirklichkeit, der mit keiner ›Feststellung‹ beizukommen ist, sondern dem Anderen in uns zu Erzählungen verhilft, die in dämmrigen Winkeln des Bewusstseinszimmers Lichtritzen entdecken, die dem Auge Anblicke einer surrealen »Anderswelt« schenken. An diesem San Andreas-Graben, entlang dieser Dissoziation des Ich, die sich artikuliert in der heiklen Schwellensituation zwischen Traum- und Wachwelt, bewegen sich Ries’ Nachtstimmen – last but not least stets verbunden mit dem aufklärerischen Eros eines Leser-Autors, der auch Lehrer ist: mit der Aufforderung zur Selbstaufklärung über den Riß, der durchs Individuum geht, um den Gefängnissen der Überzeugungen zu entgehen, ganz Hölderlin getreu: »Komm! ins Offene, Freund!«weiterlesen