Neue Finanzierungsinstrumente für die ÖPNV-Infrastruktur
Erfahrungen aus den USA und Lehren für deutsche Kommunen
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
In meiner Eigenschaft als Hauptreferent für Verkehr im Dezernat für Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr des Deutschen Städtetages konnte ich von Dezember 2009 bis Februar 2010, aufgrund eines Stipendiums des German Marshal Fund der Vereinigten Staaten (GMF), im Rahmen des Comparative Domestic Policy (CDP) Program neue Instrumente zur Finanzierung der Infrastruktur des öffentlichen nPersonennahverkehrs (ÖPNV) in verschiedenen US-amerikanischen Kommunen untersuchen. In dieser Arbeit bezeichnet der Ausdruck „nicht-fiskalisch“ nicht aus dem allgemeinen Steueraufkommen stammende private Beiträge zur Finanzierung der öffentlichen Nahverkehrsinfrastruktur. Diese Beiträge können allerdings auch in Form von speziellen Steuern erfolgen. Im Gegensatz zum deutschen Steuerbegriff, der eine Zweckbindung ausschließt, sind diese Steuern für die Finanzierung der ÖPNV-Infrastruktur vorgesehen. Vor dem Hintergrund, dass im historischen Vergleich Deutsche sehr viel häufiger öffentliche Verkehrsmittel nutzen und signifikant seltener Auto fahren als Amerikaner, mag es seltsam erscheinen die amerikanische Verkehrspolitik, gerade im Hinblick auf den öffentlichen Verkehr, mit der deutschen Situation zu vergleichen. Die gegenwärtigen Mobilitätstrends in Deutschland u. a. hinsichtlich der Verkehrsleistung (in Fahrzeugkilometer), der Pkw-Verfügbarkeit und der Fahrgastzahlen der öffentlichen Verkehrsmittel, lassen einen solchen Vergleich allerdings in einem anderen Licht erscheinen. Nach einer von der Rutgers University, der Virginia Tech University und dem DIW Berlin herausgegebenen Studie über Trends und Determinanten des Verkehrsverhaltens in den USA und Deutschland ist in beiden Ländern eine steigende Pkw-Verfügbarkeit und
-nutzung sowie ein Anstieg der durchschnittlichen Entfernungen und der Reisehäufigkeit zu beobachten.
Einem der Autoren dieser Studie zufolge werden die Verkehrssysteme in beiden Ländern immer stärker abhängig vom Automobil. „Man sollte nicht dem Irrglauben erliegen, ein umweltfreundlicherer Verkehr in Deutschland sei allein das Ergebnis guter Verkehrspolitik. Zum großen Teil sind strukturelle Faktoren entscheidend – also das, was mit der Verkehrspolitik selbst wenig zu tun hat: Hätten wir in Deutschland nicht ein höheres Führerscheinalter, mehr Senioren, mehr Arbeitslose und weniger berufstätige Frauen als in den USA, und wäre Deutschland weniger dicht besiedelt, dann wäre der Autoanteil am Verkehr noch viel höher.”ii
Ein ebenso wichtiger Anlass für die vorliegende Studie ist die Tatsache, dass fiskalische Beschränkungen
in Deutschland in den letzten Jahren die Finanzierung grösserer Infrastrukturprojekte zunehmend
schwieriger gestalten lässt. Die USA können im Vergleich dazu auf eine lange Geschichte privater
Infrastrukturfinanzierung zurückblicken, woraus sich meines Erachtens durchaus Anregungen ergeben
können für deutsche Städte, die auf der Suche nach Alternativen zur herkömmlichen Finanzierung ihrer Nahverkehrsinfrastruktur sind. Daher lohnt es sich genauer zu untersuchen, wie Stadtverwaltungen und Regionen in den USA den öffentlichen Personennahverkehr finanzieren, insbesondere die ÖPNV-Infrastruktur.iii Allerdings sind die Finanzierung der öffentlichen Nahverkehrsinfrastruktur und der Betrieb des ÖPNV oft untrennbar miteinander verbunden. Daher werden im Folgenden auch innovative Strategien zur Betriebskostenfinanzierung untersucht. Für diese Studie habe ich insbesondere Fallbeispiele heran gezogen, bei denen 1. der als Folge einer erfolgreichen Baulandentwicklung entlang von ÖPNV-Trassen (Transit Oriented Development – TOD) entstehende ÖPNV-Erschließungsnutzen abgeschöpft wird (Value capture), und 2. Modelle einer Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP) zur Anwendung kommen. Deshalb habe ich nach vorbereitenden Gesprächen mit Verkehrsexperten in Washington DC, Victoria, der Hauptstadt der Kanadischen Provinz British Columbia, sowie in San José, Kalifornien, Interviews mit Vertretern aus Kommunalverwaltungen und Verkehrsbehörden der Städte Seattle, Portland (Oregon), aus der San Francisco Bay Area und aus San Diego sowie in Chicago und Denver durchgeführt. Dabei habe ich festgestellt, dass Seattle und Portland und in geringerem Maße auch die San Francisco Bay Area sowie San Diego über umfangreiche Erfahrungen mit der Abschöpfung des Erschließungsnutzens durch die aktive Baulandentwicklung entlang von ÖPNV-Linien zur Finanzierung der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur verfügen. Dies gilt sowohl für freiwillige Beiträge, als auch Zwangsabgaben. So konnte z.B. Portland Streetcar Inc. durch eine aktive ÖPNV-Erschließung, in deren Gefolge ein vormals brachgefallenes Innenstadtquartier zu neuem Leben erweckt wurde, beträchtliche finanzielle Investitionen zur Unterstützung der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur generieren. Auch freiwillige Beiträge von Grundeigentümern in Portland, die finanziell von einem guten Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln profitieren, haben beträchtliche Mengen an Kapital zurück ins ÖPNV-System gespült. In Kommunen, in denen weder die Geschäftswelt, noch die Öffentlichkeit die Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs für die Verbesserung der urbanen Umwelt (wozu auch die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit einer Stadt zählt) bislang ausreichend erkannt haben, können nach meiner Beobachtung Maßnahmen gemäß dem Motto „Zuckerbrot und Peitsche“ weiterhelfen. Eine typische „Anreizmaßnahme“ könnten beispielsweise Steuersenkungen für Arbeitgeber darstellen, mit deren Hilfe sie dazu bewogen werden sollen, Verantwortung für die verkehrlichen Auswirkungen ihrer unternehmerischen Aktivitäten zu übernehmen. Diese könnten sich sowohl auf die eigenen geschäftliche Aktivitäten als auch auf das Verkehrsverhalten der jeweiligen Belegschaften beziehen. Im Unterschied dazu kann auch durch die Anwendung von Zwangsmaßnahmen, wie etwa gesetzliche Vorgaben für Bauträger zur Verbesserung der Umweltstandards, das Bewusstsein zur Notwendigkeit der Förderung öffentlicher Verkehrsmittel geschärft werden. Bei ÖPP stellte sich die Situation als noch komplizierter dar. Der Bedarf an privaten Investitionen ist in älteren Nahverkehrssystemen am größten. Allerdings sind, wie man in Chicago sieht und wie es wahrscheinlich in den meisten ÖPNV-Systemen der Fall sein dürfte, üblicherweise weder der Öffentlichkeit noch der Geschäftswelt die Defizite in der Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs bewusst. Dies hängt damit zusammen, dass diese Systeme schon so lange existieren und bislang i.d.R. gut funktionierten. Dieser Umstand macht es schwer, privates Kapital für Verkehrsinfrastrukturinvestitionen zu mobilisieren. Beispiele einer vollständig öffentlich finanzierten Verkehrsinfrastruktur sind in den USA eher selten und dürften es auch in absehbarer Zukunft sein. Angesichts der derzeitigen Wirtschaftskrise, aber auch wegen fundamentalen Veränderungen der Besteuerungsgrundlagen infolge des demografischen Wandels, Verschiebungen von Konsummustern etc. müssen zusätzliche, nichtfiskalische Finanzierungsquellen gefunden werden. Aufgrund der im Vergleich zu Deutschland ungünstigeren Ausgangsbedingungen müssen Gemeinden und Regionen in den USA sehr viel aktiver für den öffentlichen Nahverkehr werben. Dieses Argument wird keineswegs überflüssig durch den von der Obama-Administration angekündigten Richtungswechsel in der amerikanischen Verkehrspolitik mit dem Ziel lebenswerte, nachhaltige Gemeinden zu schaffen mit einer guten öffentlichen Verkehrsinfrastruktur. Dies gilt erst recht für Investitionen in die Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs, der mit anderen öffentlichen Verkehrsinfrastrukturen wie beispielsweise Straßen oder Parkhäusern in Wettbewerb tritt. Ganz zu schweigen von Investitionen in die soziale Infrastruktur (Schulen, Krankenhäuser, etc.). Mehr privates Kapital für die Nahverkehrsinfrastruktur zu mobilisieren, ist daher nicht nur eine interessante Idee, sondern eine Notwendigkeit.
Berlin, im August 2010
Oliver Mietzschweiterlesen
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