Theo Breuer : NICHT WENIGER NICHT MEHR
Wir wollen weniger erhoben, / Und fleißiger gelesen sein, lesen wir in einem bekannten Vierzeiler Gotthold Ephraim Lessings. Kann man „fleißiger lesen“, als Theo Breuer es bekanntermaßen sein Leben lang tut? Und kann man kreativer, lebendiger die Rezeption literarischer Texte für die Produktion ebensolcher nutzen, Leseimpression origineller in Schreibexpression verwandeln, als Theo Breuer es – eindringlicher denn je – im neuen Gedichtbuch NICHT WENIGER NICHT MEHR handhabt, in dem es auf 133 Seiten suchstaben und Wörter und Verse auf Breuers unnachahmliche Weise regnet (prasselt …) und in dessen Gedichten die Buchstaben vom ersten bis zum vierten Kapitel atmen, hopsen, perlen, sprudeln, dass es seine Art hat.
Furios und mitreißend – um je ein Beispiel aus den vier Kapiteln mit hier (sehr) kurzen, dort (sehr) langen Gedichten zu benennen – die Gedichte es war, nicht die bohne, und lesen oder zeit der schlüsse, in dessen sieben Versen soviel Welt, soviel Para- und Gegenwelt steckt, dass es einem Frevel gleichkäme, einzelne Aspekte einem Kommentar zu unterwerfen. Manches, das an der Oberfläche wie reines Spiel mit Wörtern wirken mag, wird, näher betrachtet, zum glutigen Ernst. Ja, Kurt Schwitters hat es bis zum bitteren Ende vorgemacht: Wir spielen, bis uns der Tod abholt. Aber was, bitte, ist denn das für ein ‚Spiel‘, in dem einem immer wieder das Lachen im Halse stecken bleibt – wenn etwa im wortversuch : ein mord / den / andren / gibt?!
Neben dem Reim (mit dessen ‚unerhörten‘ Möglichkeiten wortwährend ‚gespielt‘ wird) ist das Paragramm fester Bestandteil in Breuer Wortwerkzeugkasten. Welch enorme Erweiterung wird hier möglich durch den Austausch eines Buchstabens: Zunächst wird der Leser – naturgemäß – bei ‚glutig‘ an das Ursprungswort ‚blutig‘ denken, um reflexiv und ‚mutig‘ weitere Paragramme zu bilden und so – dank eines einzigen Buchstabens – in ungeahnte Wortträume vorzuschwingen.
Die Gedichte des ersten Kapitels – eine siebenteilige, essayistisch angehauchte Lyriksequenz – sind Werk und Wirken Paul Celans gewidmet, dessen hundertstem Geburtstag und fünfzigstem Todestag wir 2020 gedenken: morgens moosgrün müßig zwischen maar moor mayröcker / liegt der stein der leisen setzt das Gedicht da : ein, das den Leser – ausgehend von persönlich erlebter wlan-Gegenwart – im schneewahn zurück in unheilvolle Zeiten katapultiert, deren Grauen Celan so unmittelbar erfuhr.
Genug des „Erhebens“. Auch Theo Breuers Gedichtbuch NICHT WENIGER NICHT MEHR will : fleißiger gelesen sein …
Lieferbare Titel von Theo Breuer:
„Das gewonnene Alphabet“. Gedichte. Pop Lyrik. 122 Seiten, ISBN 978-3-86356-039-3, €[D]12,00
Matrix 28. Atmendes Alphabet für Friederike Mayröcker (2012). ISSN: 1861-8006, 294 Seiten, €[D]10,00
Matrix 29. Jeder auf seine Art für Hans Bender (2012). Herausgegeben von Theo Breuer.
ISSN: 1861-8006, 200 Seiten, €[D]10,00
„Zischender Zustand. Mayröcker Time.“ Lesezeichen Reihe. ISBN: 978-3-86356-152-9, 200 Seiten, €[D]16,90
Matrix 36. Axel Kutsch spannt Versnetze übers Wortland (2014). ISSN: 1861-8006, 242 Seiten, €[D]10,00
Hinter die dunkle Tür. Vierzeiler 2013 – 2015. mit Vorwort und Gespräch mit Hans Bender herausgegeben von Theo Breuer. Lyrikreihe Bd. 125; ISBN 978-3-86356-257-1; 137 Seiten, €[D]14,90
Scherben saufen. Gedichte. Lyrikreihe Bd. 129; ISBN 978-3-86356-265-6; 171 Seiten, €[D]15,90
Winterbienen im Urftland. Empfundene / erfundene Welten in Norbert Scheuers Gedichten und Geschichten. Lesezeichen Reihe. Bd. 5. ISBN: 978-3-86356-277-9, 128 Seiten, €[D]12,80
Admiel Kosman: Aus dem Zwischen des Hohelieds. Ausgewählte Gedichte. Aus dem Hebräischen übertragen von Edith Lutz in Zusammenarbeit mit Theo Breuer
und Udi Levy. Mit Vor- und Nachwort herausgegeben von Edith Lutz. Die POP-Verlag-LYRIKREIHE Bd. 132. ISBN978-3-86356-271-7, 116 Seiten, €[D]12,80
Matrix 58. Zwanzig Tage – zwanzig Romane : Ein Buchspiel (2019). ISSN: 1861-8006, 228 Seiten, €[D]15,00weiterlesen