Ferdinande von Brackel (1835–1905) ist heute fast vergessen. Im 19. Jahrhundert war sie eine gefeierte katholische Schriftstellerin, deren Romane und Novellen viel gelesen wurden.
Und das lohnt noch heute: Mit großer Sprachgewandheit und lebendiger Dialogkunst entfaltet Brackel vor uns ein realistisches Gesellschaftsporträt und eine Charakterstudie zugleich, in der die kleinstädtisch-ländliche Adelswelt Westfalens im 19. Jahrhundert Farbe und Kontur gewinnt.
Die Liebesgeschichte Anna von Kilmenaus und Alfred von Rottecks datiert aus einer Zeit, in der Arbeits- und Familienstrukturen im Umbruch sind und traditionelle Geschlechterrollen in Frage gestellt werden. Das zeigt sich auch in der Literatur: In Romanen und Novellen suchen Frauen ihren eigenen Weg zwischen gesellschaftlichen Konventionen und individueller Entfaltung. Selten sind diese literarischen Weiblichkeitsentwürfe revolutionär. Auch die hier neu edierte Novelle, erstmals im Jahr 1877 erschienen, ist ein Dokument der kleinen Schritte, mit denen sich die emanzipatorischen Veränderungen vollziehen.
Wie ›anders‹ darf eine Frau sein? Brackel erzählt die Geschichte der jungen, selbstbewussten und freiheitlich denkenden Anna, die »nicht wie alle Andern« ist und es aufgrund schmerzhaft erlebter Ablehnung dennoch unbedingt sein möchte. Wir erhalten Einblick in die kleinen (Fort- und Rück-)Schritte weiblicher Emanzipation im 19. Jahrhundert.weiterlesen