75 Gedichte von Snežana Minić aus fünf Lyrikbänden hat Dragoslav Dedović als Herausgeber zu fünf Gedichtzyklen zusammengestellt, Matthias Jacob hat sie ins Deutsche übertragen. Die Autorin zählt zu den bedeutendsten serbische Lyrikern und lebt seit 1992 in Deutschland.
»Ganz Europa ist meine Heimat. Ich bin auf Wanderung. Ich irre herum … Ein Zuhause finde ich in meiner Sprache«, sagt die in Hamburg lebende Autorin, deren Lyrik immer traditionsbewusst, aber nie traditionalistisch wirkt. Mit ihren ersten Gedichtbänden wurde sie in Serbien sofort als frische, starke Stimme wahrgenommen. Ihre Entscheidung, das Land zu verlassen, kam einer politischen Weigerung gleich, sich an den Hass-Ritualen im zerfallenden Jugoslawien zu beteiligen.
Die Unmöglichkeit, in der Heimat zu bleiben, aber auch jene, ohne Heimat auszukommen, prägt viele ihrer Verse. Sie sieht sich in der Tradition der Exil-Erfahrenen: Konstantin Kavafis, Paul Celan, Joseph Brodsky, Czeslaw Milosz, Nina Berberova, Gertrude Stein, Vladimir Nabokov, Marina Cvetajeva, Danilo Kiš, R. M. Rilke.
Die traditionelle Quelle ihrer Dichtung ist die serbische Avantgarde zwischen den Weltkriegen und der serbische Surrealismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Die sprachliche Verspieltheit, die Verfremdung der Bilder, da und dort das Schamanische im Rhythmus haben aber auch eine private Quelle: »Meine Urgroßmutter war Heilpraktikerin. Sie hatte besondere Kräfte.« Damit verbunden ist die serbische Volksdichtung. Snežana Minićs Mutter kannte die »männlichen« Lieder auswendig und liebte sie. Die Lyrikerin sieht sich in dieser weiblichen Tradition zwischen der Heilkraft ihrer Urgroßmutter und der epischen Volksdichtung ihrer Mutter. Ergänzt wird sie durch die kultivierte urbane Zerbrechlichkeit einer Frauenstimme im Exil.
Eine Stimme, die aufhorchen lässt.weiterlesen