Stefan Pollatschek hat seinen Roman „Pest“ 1938 beendet. Doch konnte sein Wiener Verlag das Buch nicht mehr herausbringen. Dafür erschien 1939 in Warschau die polnische Übersetzung „Dżuma“. Zehn Jahre später erschien der Roman unter dem Titel „Dozent Müller“ dann doch in Österreich und zwar zuerst in Buchform 1948 und dann als Fortsetzungsroman in der Arbeiter-Zeitung. Dort wurde er am 4. Juni 1949 folgendermaßen angekündigt:
Unser neuer Roman spielt im Wien der neunziger Jahre. Er schildert eine Episode aus Wiens Geschichte, die viele unserer Leser aus einem im vorigen Jahr in der Arbeiter-Zeitung erschienenen Artikel in Erinnerung haben dürften: den Ausbruch von Pestfällen in Wien im Jahr 1898.
Dozent Müller. Die Tragödie eines Wiener Arztes erzählt eine Geschichte von menschlichem Heldentum – und menschlicher Bosheit. Der Selbstaufopferung einer Handvoll Menschen, Ärzten und Pflegerinnen ist es zu danken, daß die Pest nicht zur Seuche wurde, die tausende vernichtete. Dozent Müller gab sein eigenes Leben, um das ungezählter anderer zu retten. Es waren die Schüler des großen „guten“ Arztes Professor Nothnagel, die so handelten.
Während sie die wirkliche Pest bekämpften, richtete eine andere, eine geistige Pest Unheil an: christlichsoziale Spießer und deutschnationale Hetzer verbreiteten den Pestbazillus Antisemitismus; sie machten auch vor Nothnagel nicht halt, weil er ein Mann freiheitlichen Geistes war. Unsere Leser werden es dem vor kurzem verstorbenen Wiener Schriftsteller Stephan Pollatschek danken, daß er in diesem Buch dem Dozenten Müller und seiner Zeit ein würdiges Denkmal gesetzt hat.
Der schriftliche Nachlass Stefan Pollatscheks galt lange als verschollen. Dank seiner Tochter, der Schriftstellerin Gerda Hoffer, befindet er sich inzwischen jedoch im Archiv der TKG. Unter den Dokumenten befindet sich auch das original Typoskript von „Pest“ aus dem Jahr 1938. Dieses weicht an vielen Stellen vom Buch „Dozent Müller“ ab, da die, wie es im Nachwort 1948 hieß,
fast durchgängige Dialogform des Buches durch Zusammenzueoihungen und durch Umwandlungen der Dialoge zu indirekter Rede und Erzählung da und dort einmal zu unterbrechen, einige Längen und unwesentliche, die Romanhandlung hemmende Nebenszenen und Milieuschilderungen wegzulassen oder zu kürzen.
Wir wollen mit der Publikation nicht nur eine den Intensionen des Autors gerechtere Version herausgebenen, sondern auch, ganz im Sinne Stefan Pollatscheks, an den Arzt Dr. Hermann Franz Müller erinnern.weiterlesen