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PFLEGENOTSTAND UND MODERNE MEDIZIN

ZUR LÖSUNG DER GEGENSEITIGEN BLOCKADE SIND ÄRZTINNEN, ABER AUCH PHILOSOPHEN, SOZIOLOGINNEN, GESETZGEBER, POLITIK UND MEDIEN GEFORDERT

Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)

Auf Neugier und Ehrgeiz der Naturwissenschaftler beruhen die unbestreitbaren Erfolge der modernen, westlichen Medizin. Insbesondere die durchschnittliche Lebenserwartung wurde mehr als verdoppelt. Aber auch die Jahre der Pflegebedürftigkeit haben sich pro PatientIn nahezu verzehnfacht. Das bedeutet Überalterung. Seit ca. 2 Jahren kann der Pflegebedarf kaum noch bewältigt werden. Wegen des „Pflegenotstands“ müssen nicht nur in Altenheimen, sondern auch in Kliniken Stationen aufgegeben werden. In Kliniken werden Operationen auf unbestimmte Zeit verschoben oder überhaupt von den Agenden gestrichen. Das alleine dürfte einerseits den Anfall von Pflegebedarf peu à peu reduzieren und andererseits dem weiteren Fortschreiben der medizinischen Erfolgsgeschichte unweigerliche Grenzen setzen. In Conclusio: Pflegenotstand und moderne Medizin blockieren sich gegenseitig. Für die gegenwärtige Pattstellung dürfte die Angst vor dem Lebensende den Angelpunkt schlechthin darstellen. Der liegen oft fatale Fehlentscheidungen für unverhältnismäßige medizinische Interventionen zugrunde, die mehr auf die Verlängerung der Lebensdauer und weniger auf die Genesung abzielen. Von ärztlicher Seite sollte man eher die Drosselung der steten Zunahme an Patienten und Pflegefällen ohne Wenn und Aber in Angriff nehmen. Die internationale Ärzte-Initiative „Choosing Wisely“ hat bereits Indikationsbeschränkungen für sämtliche medizinischen Fachbereiche vorgeschlagen. Entscheidungen hinsichtlich Therapieabbruchs oder OP-Ablehnung könnten Ethikkommissionen stützen, um dann den Schutz der Ärzteschaft vor eventueller gerichtlicher Verfolgung wegen z.B. Verweigerung der Hilfestellung zu gewährleisten. In Anbetracht der aus Erschöpfung eingeschlagenen Flucht aus dem Pflegeberuf in Krankenhäusern, Altenheimen und Hauskrankenpflege wirkt schwierig, hilflos bis tragisch, auf den Pflegenotstand nur mit dem Angebot von mehr Pflegeausbildung und besserer Entlohnung zu reagieren. Wie können wir die allgemein verdrängte, aber doch grassierende Angst vor dem Lebensende merklich lindern? Mit der tröstlichen Prophezeiung einer Folgeexistenz und mit Übergangsritualen hat sich die Kirche über Jahrhunderte zumindest für diejenigen guten Willens als Stütze zur Überwindung der Todesangst bewährt. Das Bekenntnis zum „Glauben an den einen Gott“ hat sich inzwischen größtenteils aus vollmundiger Kehle auf schmale Lippe zurückgezogen. Unheilvoller weil rastloser Hedonismus erschwert, das dadurch entstandene Vakuum zu erkennen. Die „ars moriendi“ (Kunst zu sterben) als wesentlicher Aspekt der Schule des Lebens gehörte ohne Zweifel in jeden Lehrplan des Ethikunterrichts für über 10-jährige Schüler. Anstelle des Verdrängens wäre auch für Erwachsene hilfreich, den Tod stets im Auge zu behalten, um seinen Schrecken – wenn er dann tatsächlich naht – zu minimieren. Zudem können Spiritualität, Sterbebegleitung, palliative Sedierung, Urnenbestattung, rechtzeitiges Erstellen einer Patientenverfügung sowie einer Vorsorgevollmacht und neuerdings nach dessen strafrechtlicher Freistellung der assistierte Suizid zur Linderung der Todesangst beitragen. Durch zeitlich limitierte Lebensverlängerung kann moderne Medizin (wie früher Wunderheilung) Todesangst nur vorübergehend beseitigen. Wird diese Karte gezogen, entwickelt sich immer öfter das Paradox im Sinne einer heillosen Angst vor einer erst dadurch induzierten Verlängerung eines qualvollen Dahinsiechens. Aktuell verharren wir bezüglich der Gestaltung der letzten Daseinsphase in verzagt planloser Starre bis Pflegemangel-bedingte Vernachlässigung unerträgliche Unwürden nach sich ziehen wird. Das wiederum ließe Todesangst sogar von der Todessehnsucht umarmen. Unter solchen Umständen verlöre die derweil in Endlosschleifen befindliche Neuorientierung weg von der Lebenserhaltung um jeden Preis ihre ansonsten bedrohliche Gestalt. Bei absehbaren Entwicklungen kann Vor-sich-Herschieben eines längst fälligen Umdenkens bzgl. der medizinischen Indikationsstellung am Lebensende inklusive der Sterbehilfe die jetzt schon bedrohliche Lage nur verschlimmern. Es wäre hoch an der Zeit, das auf unsere Gesellschaft zukommende Chaos während der letzten Lebensphase ohne Schönfärberei anzusprechen. Ein rechtzeitiger Gesinnungswandel hinsichtlich der Entscheidungen am Lebensende sollte das abwenden. Medizinerkollegen, Pflegedienste, Sterbebegleiter etc. aber auch mit dem Sujet befasste Juristen und politische Entscheidungsträger sowie Medien sind gefordert, die Gesellschaft von der Conditio Sine Qua Non dieses Gesinnungswandels zu überzeugen, um Sie zu gewinnen ihn mitzutragen. Es wurde lange genug versucht, den Tod nur aufzuhalten. Es sollen keineswegs Leistungen der Medizin und glückstrahlende Inanspruchnahme des Altenteils infrage gestellt sein. Es gilt ausschließlich Sinne und Sensibilität für die Verhältnismäßigkeit des Mitteleinsatzes zu schärfen. Todesangst des einzelnen Individuums infolge Krankheit und Alter ähnelt der kollektiven Todesangst unserer Gesellschaft vor der Klimakrise. Ein nicht enden wollendes Auf und Ab von verdrängendem Klein- oder Abreden mit Hoffnung auf Heilung gefolgt von Visionen in Abgründe des auslöschenden Lebensendes. Da trotz eindringlich mahnender Appelle nahezu niemand freiwillig bereit ist, auf die hauptsächlich Fossilenergie-betriebenen Annehmlichkeiten unserer Wohlstandsattituden zu verzichten, hat unser Planet längst schon den Weg in die Resignation angetreten. Dieser Essay wurde geschrieben, um das auf uns zukommende Chaos am Lebensende aufzuhalten. Analogie im Umgang mit der Klimakrise lässt befürchten, dass auch dieses Thema derweilen in Endlosdiskussionen erstickt.weiterlesen

Dieser Artikel gehört zu den folgenden Serien

Sprache(n): Deutsch

ISBN: 978-3-9504954-7-8 / 978-3950495478 / 9783950495478

Verlag: plattform Verlag

Erscheinungsdatum: 12.09.2022

Seiten: 120

Auflage: 1

Zielgruppe: Personen aller Altersgruppen

Interviewer Klaus Pichler
Nachwort von Enno Rudolph
Foto(s) von Felix Friedmann
Autor(en): Gero Hohlbrugger
Vorwort von Willibald Stronegger

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