Schlägt man in den Kompendien zur Soziologie und Philosophie nach, so bekommt man leicht den Eindruck, als sei die Philosophische Anthropologie nach 1945 geradezu in Vergessenheit geraten. Trotz der schweren politischen Belastung einiger ihrer Vertreter zeigt freilich die zwar kontroverse, aber gerade dadurch überaus intensive Rezeption Arnold Gehlens – diesem „beunruhigendsten Intellekt“ (Habermas) –, dass dem nicht so gewesen ist.
Allerdings kennzeichnet sich die wissenschafliche Landschaft der Nachkriegszeit durch tiefgreifende epistemologische Umbrüche. In den 1950er Jahren gewinnt eine „Kulturanthropologie“ an Boden, die sich nicht mehr auf den von Rothacker inaugurierten und von Gehlen fortgeführten Theoriekomplex beruft, sondern in den allermeisten Fällen an der empirischen Cultural Anthropology US-amerikanischer Herkunft orientiert. Einerseits weicht die ehemals umfassende Frage nach dem Menschen immer mehr einer Vielzahl von spezialisierten Ansätzen; andererseits wird das Erbe der anthropologisch fundierten Institutionstheorie Gehlens von Luhmann in eine Systemtheorie übersetzt, die eine Art Gegenstück zu dem in Frankreich zeitgleich proklamierten „Tod des Menschen“ bildet.
Die Fragestellung des vorliegenden Bandes entzündet sich an der Feststellung, dass trotz alledem in Deutschland wie in Frankreich die philosophische Anthropologie keineswegs nur unterschwellig fortlebt, sondern dass man gern mit ihr kokettiert und dass sie vor allem in historischen und geistigen Krisenzeiten als Rekurs fungiert. Man geht hier den Diskursstrategien auf die Spur, in welchen der anthropologisch-philosophische Ansatz weiterhin eine Rolle spielt, und fragt nach den Gründen dieser nachhaltigen Prägnanz.
Gérard Raulet lehrt als ordentlicher Professor für deutsche Ideengeschichte an der Universität Paris-Sorbonne.
Guillaume Plas ist wissenschaftlicher Assistent an der Universität Paris-Sorbonne.weiterlesen