Wie sind die Legenden und Mythen der 2. Republik entstanden? Die Bücher zur „etwas anderen“ Jubiläumsausstellung.
Die Ausstellung Physiognomie der 2. Republik in der Österreichischen Galerie Belvedere weckt mit Gemälden und Skulpturen, Fotos und Plakaten, Zeichnungen und Karikaturen die Erinnerung an die großen Persönlichkeiten und einschneidenden Ereignisse, von denen die 2. Republik geprägt wurde. Indem sie das Antlitz und die Maske der Epoche zeigt, macht sie anschaulich, was sich im Verlauf eines halben Jahrhunderts herauskristallisiert hat - eine neue österreichische Identität und ein neues Selbstbewusstsein. Maßgebliche Personen aus Politik und Wirtschaft, Literatur, Kunst und Wissenschaft, Film, Theater, Gesellschaft, Sport und den Medien, sowie die wichtigsten politischen und kulturellen Ereignisse der Zeit von den 1950er Jahren bis in die 1980er zeigen den Ursprung der Legenden und Mythen, deren Anlass sie waren. Man erinnert sich und wird erinnert, trifft auf Vertrautes und entdeckt neue Facetten in der Physiognomie der 2. Republik.
Zur Ausstellung erscheint ein Buch mit Essays zu gesellschafts- und kulturpolitischen Aspekten der Epoche, herausgegeben von Gerbert Frodl, Paul Kruntorad und Manfried Rauchensteiner.
Idee und Gestaltung: Paul Kruntorad Realisierung: Österreichische Galerie Belvedere
Textauszug
”Man sagt, Österreich habe nach 1945 den Stahlhelm abgelegt, setzte den Tirolerhut auf und eröffnete seine Pensionen. Die Tschechen hingegen zogen sich Arbeitermützen ins Gesicht und betraten schon bald darauf die Arbeitslager. Es ist verständlich, dass jedwede Generalisierung, eine jede verbale Hyperbolie irgendwo hinkt. Es ist durchaus eine Ironie der Geschichte, dass ein Verlierer des Krieges, schon sehr bald zum Sieger wurde - und sogenannte Sieger zu Verlierern. Die Tschechen fanden sich bald in einer fatalen Lage wieder - sie hatten einen Benes und keinen Figl, ja lebten ihren eigenen Nationalsozialismus, oder, um präziser zu sein, einen sozialen Nationalismus, schließlich und endlich bis zum Jahr der Wende, 1989. Die Anfänge nach dem Krieg waren für Österreich überaus schmerzhaft, nicht nur in politischer, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Es ging um weitaus mehr als einen Tausch der Kopfbedeckung. Die Österreicher mittleren Alters durchlebten ihre Zeit in einem Dollfuss und Schuschnigg Staat. Penibel wurden Flaggen gehisst, Fenster geschmückt, es gab Arbeit, kaum Kriminialität usw. - bis man irgendwann damit begann, Bomben auf die properen Haushalte zu streuen.” (Jiri Grusa)
“So, jetzt wird eine Brust ordentlich durchdrungen, dafür muß man sich nicht einmal von seinem Sessel erheben. Außer man sucht sich dafür eine fremde Brust aus. Die kappentragenden österreichischen Feuerredner der schlagenden Verbindungen, welche uns inzwischen schlagend bewiesen haben, daß sie es sind, die jetzt ihre Brandreden halten dürfen, ohne je weniger versprochen zu haben als das, was sie jetzt endlich halten wollen, die nehmen ihre Gesichter dafür, ihre Begeisterung für das Deutsche auszudrücken, das sie allerdings mit jedem einzelnen Wort schänden, und sie nehmen ihre Mensursäbel in die Hand, mit denen sie Gesichter schänden, und sie nehmen das Deutsche, das sie nicht können und nicht einmal kennen, auch noch als Hilfspolizisten dazu, um einmal anständig durchzugreifen, um sich endlich einmal durchzusetzen. Einmal gehts bestimmt noch. Und das heißt immer: sich über andre zu setzen. Das nennen sie ihre Meinungsfreiheit, die über die „Diktatur der Gutmenschen“ endlich siegen muß. Sie nehmen sogar ihre Frauen noch für die Begeisterung und lassen sie unaufhörlich abkindern, und das Weltkind in der Mitten rechts. Nein, immer nur sie allein sind in der Mitten, wo schon ein Loch ist, weil sich soviele dort gedrängelt und aus der Mitte einen Leerplatz gemacht haben - und heute gehört uns das Deutsche und morgen die ganze Welt.” (Elfriede Jelinek)weiterlesen