Plädoyer für eine gewisse Anormalität
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Die 'klassischen Neurosen' der 'normalen Neurotiker' werden immer seltener. In den Behandlungszimmern der Psychoanalytiker stellen sich heute meist Patienten ein, die keine ausgeprägten hysterischen oder Zwangssymptome haben, sondern sich über diffuse Gefühle von Angst und Depression beklagen, über wiederholtes Versagen oder andere Symptomformen wie Süchte oder psychosomatische Krankheiten. Während die Analysanden früher meist an neurotischen Sexualproblemen litten, treten heute Symptome in den Vordergrund, die sich aus älteren Konflikten der psychischen Entwicklung eines Individuums ergeben.
Verhältnismäßig spät tritt ja in der Entwicklung des Kindes der kleine Ödipus zutage, der die Tatsache des Geschlechtsunterschieds, die narzißtische Kränkung durch die Urszene und die Versagung seiner erotischen und aggressiven Wünsche gegenüber den Eltern bewältigen muß. Sehr viel früher hat man es mit einem kleinen Narziß zu tun, der mit dem definitiven Verlust der Brust-Mutter fertig zu werden hat und dem sich die unabweisbare Notwendigkeit stellt, durch die Schaffung innerer psychischer Objekte diesen Verlust zu kompensieren.
Wenn dies angesichts überwältigender psychischer Traumata mißlingt, bleibt die subjektive Identität durch archaische Trennungs-, Desintegrations- und Todesängste bedroht. Sexuelle Perversionen, Homosexualität, narzißtische und psychosomatische Störungen oder 'Überanpassung an die Realität' können als die individuell verschiedenen und insofern durchaus 'schöpferischen' Leistungen des Subjekts verstanden werden, solche Dilemmata zu lösen.
Die Abwehrmechanismen der Patienten, auf deren klinisch dokumentiertes Material sich die vorliegenden Untersuchungen von Joyce McDougall stützen, reichen also tiefer als die Verneinungen und Verdrängungen der neurotischen Kastrationsangst; sie entsprechen vielmehr dem, was Freud als Verwerfung und Lacan als 'forclusion' bezeichnet haben.
Dieses Buch enthält lebendig geschilderte Reflexionen McDougalls über ihre Patienten aus vielen Jahren der Arbeit in der Psychotherapie. Ihr 'Plädoyer' ist eines für die Würdigung der 'Kreativität' im Umgang mit psychischen Störungen. Das Ideal der psychoanalytischen Therapie ist nicht der vollständig rationale, vernunftgesteuerte Mensch, sondern das Individuum, das einen flexiblen, offenen und sich selbst gegenüber toleranten Umgang mit seinen eigenen unbewußten, infantilen und triebhaften Anteilen hat.
Verschiedene wichtige Werke der Autorin sind im Verlag Internationale Psychoanalyse/Klett-Cotta erschienen
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