Wer das Café Central in Wien betritt, geht an einer Figur aus Pappmaschee vorbei, die an einem Tisch direkt am Eingang sitzt. Ein Mann im Anzug, blauäugig, mit Halbglatze und nietzscheanischem Schnurrbart, scheinbar bereit, den nächstbesten Gast um ein paar Euro anzuhauen: So sieht man Peter Altenberg (1859–1919), den Poeten des Kaffeehauses, ein schnorrender Bohemien. Hinter der touristischen Fassade befindet sich allerdings ein Autor, der bis heute verstört. Diese Verstörung rührt nicht nur vom problematischen Frauenbild, sondern auch von der radikalen Modernität seiner Texte her, die sich am deutlichsten im 1905 erschienenen Pròdrŏmŏs zeigt. In diesem Buch finden sich zwar jene Prosagedichte und literarischen Skizzen, für die Altenberg bekannt und beliebt ist, jedoch auch Speisepläne und Markennamen, deren Mischung sich in kein Genre einordnen lässt. Kurzum, eine kompromisslose Schrift, die alles enthält, was das Werk von Peter Altenberg bietet, aber wenig geschätzt wurde. Um heutigen Leserinnen und Lesern den Zugang zu erleichtern, beleuchtet der Literatur- und Medienwissenschaftler Simon Ganahl in einem ausführlichen Nachwort zwei leitmotivische Themen des Buchs, die auch für seine Aktualität stehen: Diätetik und Reklame bzw. Fitness und Marketing. Als prodromos, das heißt als Vorbote, greift Altenberg die Techniken der Reklame auf, um einen „Zukunftsmenschen“ zu entwerfen, der seine Lüste steigert und sich mit Markenprodukten erweitert.
Der Literatur- und Medienwissenschaftler Simon Ganahl forscht als APART-Stipendiat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und lehrt u. a. an der Universität Wien. Sein letztes Buch trägt den Titel Karl Kraus und Peter Altenberg: Eine Typologie moderner Haltungen (Konstanz University Press 2015).weiterlesen