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Prosa des Leben

Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)

Zu dieser Ausgabe In ihrer Autobiografie Mein Weg (1913) beschreibt die Opernsängerin Lilli Lehmann ein Zusammentreffen mit der Königin von Rumänien, die sich als Schriftstellerin Carmen Sylva nannte. Der Begegnungsort war Schloss Segenhaus, der Witwensitz von Carmen Sylvas Mutter oberhalb von Neuwied. Diesem Treffen im kalten und schneereichen Januar 1893 ging eine Ehrung voran, die Carmen Sylva der Sängerin zuteilwerden ließ: An ihrem Geburtstag am 24. November 1892 überreichte der Komponist August Bungert, mit dessen Liedern Lehmann auftrat, der Sängerin eine marmorne Gedenkplatte mit einem Gedicht, das Carmen Sylva eigens für sie schrieb: „Gebt mir ein Lied, ein tönend Lied […] Gebt mir ein Lied aus tiefem Quell […] Gebt mir ein Lied aus tiefem Leid“, heißt es in den Anfangszeilen der drei Verse, welche die existenzielle Bedeutung des Schreibens und der Kunst überhaupt für die Königin ausdrücken. In unmittelbarer Nähe von Schloss Segenhaus befand sich Schloss Monrepos, wo Carmen Sylva am 29. Dezember 1843 als Elisabeth zu Wied geboren wurde und ihre Kindheit verlebte. Im Kreis der Königinmutter, des rumänischen Königs Karol, des Komponisten Bungert und des Politikers Franz von Roggenbach, der mit Ernst Moritz Arndt bekannt war, traf Lilli Lehmann auf Carmen Sylva, die, gerade genesend, im Rollstuhl saß. „Das Dichten war ihr zu eigen wie dem Vogel der Flug“, schreibt die Sängerin später, „Aphorismen flossen ihr aus der Feder wie mir die Töne aus der Kehle.“ Lehmann erinnert sich an die geführten Gespräche, wie der König und die Königin ihre Regentschaft in Rumänien antraten, wie armselig die Verhältnisse waren, welche Entbehrungen sie aushalten mussten, welche Kriege geführt wurden. Als Karol um die Hand von Elisabeth anhielt, fragte er sie, so Lehmann, „ob sie mit ihm arbeiten wolle“. Diese eheliche und politische Zusammenarbeit war ganz dem humanistischen Ideal verpflichtet: „Arbeit, Menschen bilden, Künste pflegen, sich aufopfernd ihren Pflichten leben, war beider Ziel und Wille.“ Karol wurde im Jahr 1866 zum Fürsten von Rumänien berufen. Am 15. November 1869 heiratete er Elisabeth. 1881 erfolgte die Erhebung Rumäniens zum Königreich. Die Verbesserung der Lebensverhältnisse ihrer Untertanen lag Königin Elisabeth sehr am Herzen. In einem Brief vom 18. März 1905 schreibt sie: „Wenn die Leute sagen, man soll die zunehmende Trunkenheit bekämpfen, dann sage ich: Macht sie glücklicher, und sie werden aufhören zu trinken. Nur die Elenden trinken, nicht die Reichen, die behalten ihr Geld im Strumpf!“ Um die Not zu lindern, widmete sie sich mit vollem Elan der Seidenzucht. Die rumänische Seide sollte zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor werden. Zu ihrem sozialen Engagement gehörte die Gründung des Blindenasyls bzw. der Blindenstadt Leuchtender Herd sowie die Stärkung der Frauenrechte. „Zuerst müssen die Gaben, die Talente der Frauen so fest etabliert sein“, teilt Elisabeth in einem Brief vom 20. Januar 1906 mit, „daß Heiraten ihnen nur zur Entwicklung dient, nicht aber sie verschwinden läßt.“ In Elisabeths Wirken verbanden sich soziale und ökonomische Interessen mit handwerklich-künstlerischen, gepaart mit einer großen geistigen Beweglichkeit. Ihr Motto lautete: „Nun habe ich drei Gründe, das Leben gern zu haben: Einen Webstuhl, ein Automobil und eine Schreibmaschine!“ Ohne Aufgabe und Tätigkeit zu sein, war für sie unvorstellbar. Kurz vor ihrem Tod, der am 2. März 1916 eintrat, erklärte sie: „Ich habe genug von der Erde, ich nehme meine Arbeit unter den Arm und bitte den lieben Gott: gib mir ein Eckchen in deinem Himmel, wo ich weiter arbeiten kann.“ Die ersten drei der hier wiedergegebenen Essays stammen aus dem ersten Band von Carmen Sylvas Autobiografie Mein Penatenwinkel (1908). Sie zeugen von einem kunstsinnigen wie liberalen Lebensumfeld und von einer modernen Offenheit gegenüber unterschiedlichsten Menschen und Denkweisen. Die weiteren Essays der vorliegenden Sammlung sind dem zweiten Teil des Buches Geflüsterte Worte. Den Schlaflosen gewidmet entnommen. Sie gewähren einen tiefen Einblick in das Denken und Fühlen der Schriftstellerin, die man heute, wenn überhaupt, fast ausschließlich aufgrund ihrer Gedichte kennt. Ihre erste eigenständige Veröffentlichung war der Band Stürme (1881), der die Dichtungen Sappho, Hammerstein, Ueber den Wassern und Schiffbruch enthält. Gewidmet ist das Buch den Frauen und ihrem „ungesehenen Heldenthum“: „Euch, die im Sturme habt Muth genug, / Das Haupt noch frei zu erheben, / Euch, die mit ernstem Gedankenflug, / Beherrscht das erdrückende Leben“. Noch heute eine Mutmachlosung und eine über das weibliche Geschlecht hinausweisende Ehrung und Stärkung des Menschen. In einem Brief Elisabeths heißt es: „Zum Mitleiden gehört ein Mensch, zum Mitfreuen ein Engel“, und zur Gestaltung einer würdevollen Gemeinschaft, so lässt sich hinzufügen, gehören die Schriftsteller. Bereits zu ihren Lebzeiten, im Jahr 1904, erschien eine von Georges Bengesco zusammengestellte und kommentierte Bibliografie der Werke Carmen Sylvas in französischer Sprache. Sie umfasst 303 Seiten. Seit 2012 existiert die Forschungsstelle Carmen Sylva (Fürstlich Wiedisches Archiv), mit Sitz in Neuwied. Es bleibt zu hoffen, dass die deutsche Autorin und rumänische Königin als europäische Künstlerin und Denkerin von einer breiteren Öffentlichkeit entdeckt wird. Mehrsprachige Teilausgaben ihrer Schriften wären der nächste wichtige Schritt. Martin A. Völker Die Briefzitate folgen der Ausgabe Aus Briefen Carmen Sylvas, hrsg. von Werner Deetjen, Leipzig 1920.weiterlesen

Dieser Artikel gehört zu den folgenden Serien

Sprache(n): Deutsch

ISBN: 978-3-943583-35-9 / 978-3943583359 / 9783943583359

Verlag: Anthea Verlag

Erscheinungsdatum: 07.03.2018

Seiten: 190

Auflage: 1

Herausgegeben von Martin A. Völker
Autor(en): Carmen Sylva

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