Querdenker
mit Illustrationen und Gedichten von Gerolf Steiner aus seinem Nachlass Verse mit Zeichnungen
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Prolog
Wenn es um einen Querdenker geht, muss zunächst einmal das
Wort in seiner Begrifflichkeit erläutert werden. In Meyers Hand-
Lexikon aus dem Jahr 1842 fehlt es noch, ebenso wie „im Meyers“
aus den Jahren 1924 - 1930 und 1971 - 1979. Erst „im Duden“ aus
dem Jahr 2009 bin ich ihm auf die Spur gekommen. Dort wird er
als Mensch beschrieben, der „unkonventionell u. originell denkt“,
womit übrigens meine Identität lexikalisch kurz und ausreichend
bestätigt ist. Der Querdenker von heute, so wie ihn die Medien,
dem aktuellen Erscheinungsbild folgend, sich zurecht geknetet haben,
weicht davon deutlich ab. In Aufmärschen und bei ähnlichen
Straßenkundgebungen, wie sie unter dem Namen „Pegida“ veranstaltet
werden, hat er schon längst den Gleichschritt gefunden.
Aus ihm ist ein Statist aus der Theaterwelt geworden, der wir den
Namen „Zeitenwende“ gaben. Hinter der wiederum verbergen
sich Ereignisse, die man so nicht erwarten konnte, obwohl sie gar
nicht so plötzlich eingetreten sind wie es vielleicht den Anschein
hat. Der fortschreitende Klimawandel war, durch wissenschaftlich
gesicherte Fakten hinreichend belegt, längst schon in Gang gekommen,
der industrielle Umbau in der Landwirtschaft ebenfalls,
obwohl fachlich seriöse Studien und alarmierende Ergebnisse aus
der Umweltforschung rechtzeitig davor gewarnt haben. Die Perspektiven
einer globalen, auf Gewinnmaximierung ausgerichteten
Wachstumswirtschaft haben den Blick verstellt für Gefahren, die
daraus entstehen. Im besonderen Maße gilt das natürlich für den
Eroberungskrieg, den Putin und sein Regime gegenüber der Ukraine
vom Zaun gebrochen hat und der, als ideologische Auseinandersetzung
expandierend, in erpresserischem Stil auf die Energieversorgung
der westlichen Welt abzielt.
Dieses machtpolitisch eingesetzte Druckmittel wird nicht nur
vom überwiegenden Teil der Gesellschaft in den davon betroffenen
demokratisch regierten Ländern wahrgenommen; auch
der einzelne Mensch spürt wie alles durcheinander gerät und seine
Ordnung verliert. Die tiefgreifenden Veränderungen, die auf
die weltweite Coronakrise zurückgehen und ständig neue Ängste
schüren, haben allein schon dafür gesorgt, dass die Zahnräder der
alten Wirtschaftsordnung nicht mehr reibungslos ineinander greifen.
Was man seit langem befürchten musste ist eingetreten: Der
Mensch ist nicht mehr in der Lage, sein eigenes Leben, wie auch
das Miteinander das darauf aufbaut, so zu gestalten, dass Gemeinsinn
und sozialer Frieden erhalten bleiben. Die Politik zeigt
sich schon jetzt überfordert und bietet keine Gewähr dafür, dass
sie diese Entwicklung noch im Griff hat. Und dieses Gefühl der
Überforderung greift weiter um sich.
Diese „Zeitenwende“ führt zunehmend zur Destruktion, zum
Drang nach Zerstörung und Auslöschung. Archaische und religiöse
Vorstellungen haben den Terrorismus im Vorderen Orient geprägt.
Denkmäler und Zeugnisse menschlicher Kulturen werden
zu Hassobjekten, die in der Sprache konservierte geistige Überlieferung
zur Zielscheibe von Obszönitäten und Barbarei. Ein nicht
unerheblicher Teil der Menschheit, in allen Erdteilen präsent, neigt
heute zur Verneinung und Vernichtung dessen, was „Kulturschaffende“
früherer Epochen in globaler Gemeinsamkeit hinterlassen
haben. Als Rechtfertigung werden Verschwörungstheorien geboren,
die mit dem kulturellen Erbe nichts mehr gemein haben, sondern
eher Ausdruck einer evolutionären Regression sind. Davon
betroffen ist auch die Wissenschaft mit all ihren auf nachprüfbarer
Grundlage erzielten Erkenntnissen; im gleichen Maße auch die
Politik in ihrem Bemühen um die Errichtung oder Weiterentwicklung
einer demokratischen Grundordnung. Aus einer exponentiell
anwachsenden Weltbevölkerung mit zunehmenden Bildungsdefiziten
sind massive soziale Spannungen nicht mehr wegzudenken.
Der Hass, der weltweit vom Extremismus erzeugt wird und die
täglichen Nachrichten dominiert, ist geradezu teuflisch und befeuert
den uralten Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen.
Wie steht es da um unsere Gegenwehr? Diese Frage muss mit
allem Nachdruck neu gestellt werden; eine klare Antwort gibt es
bisher darauf nicht. An die Stelle eines schlüssigen Konzeptes ist
eine allgemeine weltweite Ernüchterung getreten. Damit ist längst
klar geworden woran es fehlt: Die Entscheidung muss beim Volk
liegen und nicht bei den Parteien, den Wesenskern der Demokratie
darf man dabei aber nicht verändern! Wohin das führt, haben
Hitler, Stalin, und inzwischen auch Putin gezeigt. Alle haben sie
das in ihrer Ideologie begründete Ego über den Gemeinsinn gestellt,
für den sie in der Verantwortung standen oder immer noch
stehen. Alle Macht geht vom Volk aus. Das gilt immer noch. Wenn
der Straßenmob das für sich reklamiert, so zeigt das die große politische
Gefahr, die von Minderheiten ausgehen kann. „Wir sind
das Volk“ heißt im Gegensatz dazu, dass die Besten davon, die
sich bereits durch Geist und Tat in der Gesellschaft (und nicht in
einer Partei oder in einer ähnlichen Interessengruppierung) bewährt
haben, definitiven Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen
sollen. Und diese Gesetzgebung hat, anders als es heute in der
Praxis geschieht, allein dem Wohl des Volkes zu dienen. Nicht der
„Wohlfahrtsstaat“ ist damit gemeint, sondern die Wahrung von
„nationalen Eigentümlichkeiten in einer europäischen Union“, im
Gegensatz zum globalen Denken und Handeln, mit dem man bis
jetzt genau das Gegenteil erreicht hat. Nicht die gefährlichen Abhängigkeiten
durch internationale Arbeitsteilung und Ergänzungswirtschaft
bringen uns weiter, sondern vielmehr die Verlässlichkeit
auf eigenes Können und auf die eigene Produktion. Warum
opfern wir unseren Boden einer lächerlichen Exportwirtschaft,
um erst dann, wenn wir ihn in Notzeiten wirklich brauchen, durch
die eigene Naivität irritiert den Verlust festzustellen? Und das alles
nur aus einer politischen Dummheit heraus, die wir danach sogar
noch mit neuem, dem Volk auferlegten finanziellen Aufwand, wissenschaftlich
gründlich untersuchen werden.
Steht dem nicht eine „digitale Welteroberung“ gegenüber und
sind wir nicht schon untrennbar in ihrem Netz verstrickt? Es ist ja
nicht eine Ordnung die schon vorhanden ist und nur noch nicht
im gewünschten Maße funktioniert. Gegenwärtig herrscht das
Chaos und damit die tägliche Gefahr des folgenschweren Missbrauchs;
man denke nur an die immer häufigeren Angriffe auf
lebensnotwendige kommunale wie auch überregionale Schaltzentralen
im öffentlichen Verkehr oder in der Energie-und Wasserversorgung.
Beschränkt man diese Überlegung räumlich auf ein
staatliches Refugium, so ist das Volk, das darin eingebunden ist,
nicht nur unmittelbar dem gleichen Missbrauch ausgesetzt, es
kommt auch – die nachfolgenden Generationen partiell vielleicht
ausgenommen – immer weniger mit den dahin galoppierenden
digitalen Neuerungen zurecht, die sich häufig als unprofessionelle
„Notmaßnahmen“ entpuppen. Ständige Unzufriedenheit, psychische
Zusammenbrüche mit Arbeitsplatzverlusten und dauernder
Personalmangel auf vielen Ebenen der Arbeitswelt sind die Folge
davon. Das Volk verliert den Glauben an die Politik und letztlich
an sich selbst. Woher soll Rettung kommen?
Der Zufall wollte es, dass ich mit meiner Frau erst vor wenigen
Tagen eine Veranstaltung besucht habe, die unserer anfängerhaften
Kenntnis vom „online banking“ auf die Sprünge helfen sollte.
Eine Bank hatte einen sogenannten Social Ingeneer und eine entsprechende
Auswahl ihrer Kunden dazu in ein Vier-Sterne-Hotel
eingeladen. Wir durften also (unserer Meinung nach) einen praxisbezogenen
„Crashkurs“ erwarten. Stattdessen erhielten wir eine
„Performance“, dargeboten von einem Artisten in der Art eines
Paganini, nur mit dem Unterschied, dass er auf keiner Strativari
spielte sondern auf einem potenten Personalcomputer, den er
ausschließlich dazu benutzte, uns zu beweisen, dass es ein Kinderspiel
sei, Kenn- und Passwörter mit Hilfe ungezählter Tricks
zu dechiffrieren. Man müsse sich nur die richtigen Anfangskombinationen
merken. Als sich ihm einige Fortgeschrittene aus dem
Publikum zur Verfügung stellten, allein schon um vor den Anderen
aufzufallen, kam er erst richtig in Fahrt. In eineinhalb Stunden
wurde mühelos der Beweis erbracht, dass einem echten Profi wie
ihm als ehemaligen „Hacker“ (so hat er sich selbst vorgestellt) kein
Hindernis, und mag es noch so raffiniert erscheinen, in den Weg
gestellt werden kann. Wie mag es da (so haben wir uns gefragt)
erst auf höchster Ebene bestellt sein, wenn keine Einzelkämpfer
sondern spezielle Teams in autokratisch regierten Staaten, oder
überhaupt globale Player, die Auftragnehmer sind und Großrechner
für den Angriff benutzen dürfen? Wie kann menschliche Zukunft
gesichert werden, wenn sie jederzeit mit hochmodernen,
hoch effektiven Waffen aus der elektronischen Zauberkiste in Sekundenschnelle
zerstörbar ist?
Mit dem Ruf nach Gegenwehr war die Aufforderung verknüpft,
sich nicht alles gefallen zu lassen was Politik uns vorgibt oder auferlegt,
insbesondere dann, wenn sie selbst die Suppe angerührt
hat, die wir jetzt auslöffeln sollen. Unser Geschmack ist mittlerweile
abgestumpft. Aus dem Gourmet ist ein Gourmand geworden.
Gerade in Deutschland, dem manche etwas zu anspruchsvoll
den Beinamen „Volk der Dichter und Denker“ gaben, hat die Ernüchterung
Einzug gehalten. Die in alten Traditionen steckende
kulturelle Kontinuität ist verloren gegangen. Es genügt schon ein
grüner Plastikschurz und eine Blume im wilden Haarschopf um
einen internationalen Kunstpreis zu erhalten, insbesondere dann,
wenn man dazu noch ein eigenes, in Buchform präsentiertes Machwerk
vorweisen kann. Als geistige Grundlage dient dazu eine auf
sogenannte Algorithmen aufbauende, mathematisch legitimierte
Kommunikation, die man fortwährend sprachlich zu transformieren
versucht. Eine derartige Entwicklung fördert die Entstehung
menschlicher Mutationen, die auf diese Art von Kommunikation
spezialisiert sind und bald einen globalen Genpool hervorbringen
werden, der allen nur denkbaren Vorstellungen über das Schicksal
unseres Planeten Erde und der darauf lebenden Populationen an
Pflanzen und Tieren, den Mensch als biologische Art natürlich
inbegriffen, Tür und Tor öffnet. Der Querdenker in seiner klassischen
Form hat allen Grund zu dieser Vorhersage, und genau der
soll hier auch hervorgehoben werden.weiterlesen
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