Editorial – Im Gedankendschungel
Eigentlich will der Protagonist unseres Aufmacherartkels mit der provokanten Überschrift Ich heirate den Islam nichts anderes als mit seiner neuen Freundin glücklich sein. Er hat sie im Internet kennengelernt und sich in sie verliebt. Doch schnell zeigt sich, daß das gar nicht so einfach ist: Die Auserwählte ist Muslima! Was der Autor des Artkels dann erzählt, ist eine Geschichte, die nicht nur interessant ist, sondern jede Menge Zündstoffenthält. In ihr geht es um die Beziehung zwischen einer jungen Frau, die zwischen dem traditonellen Islam und dem westlichen Leben hin und her gerissen ist, die Angst hat, von ihrer Familie verstoßen zu werden, wenn sie sich mit einem nichtmuslimischen Mann einläßt. In ihr geht es um einen jungen Mann, der in unserer liberalen und säkularen Welt groß geworden ist, einen »deutschen Atheisten mit christlichen und jüdischen Wurzeln«, der vor den Problemen, die sich seiner neuen Liebe entgegenstellen, nicht kapitulieren will. Es ist die Geschichte zweier junger Leute auf der Suche nach dem persönlichen Glück. Es ist aber auch eine Geschichte, in der die aktuellen politschen Debaten über Religion und Toleranz, Integraton und Abgrenzung nicht ausge-klammert werden. Der Autor erzählt uns diese Geschichte, ohne zu dramatsieren und ohne etwas zu beschönigen: aufrichtg, nachdenklich, witzig und ironisch.Der Artkel Ich heirate den Islam ist unter Pseudonym ursprünglich in der Wochenzeitung Die Zeit erschienen. Er hat dort für einigen Wirbel gesorgt und auch in den sozialen Medien war die Resonanz groß. Die Saarbrücker Hefe drucken ihn in leicht geänderter Fassung.Nicht ganz so dramatsch, aber auch keineswegs problemlos geht es in der Er-zählung, die am Anfang unseres literarischen Teils steht, zu. Es ist die Erzählung der Schlüsseltausch, in der es heißt: »Ich bin meist bis zur Brust im Gedanken- dschungel versunken.« Anfang der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde das geschrieben und der im Gedankendschungel Versunkene ist kein Geringerer als Arno Schmidt, der große Sprachmaniak und Autor von Zettl's Traum. Schmidt war damals ein unbekannter und mitelloser Flüchtling aus Schlesien, den es nach Kastel im Kreis Saarburg, gleich hinter der saarländischen Grenze, verschlagen hate. Dort hate man ihm und seiner Frau Alice eine bescheidene Zwei-Zimmerwohnung mit Außenklo in einem Bauernhaus zugeteilt. Eine »verkrachte Existenz« nannte er sich in einem Anfug von Sarkasmus und Verzweifung selbst damals. Seine Frau hat es in ihrem Tagebuch berichtet. Mit einem Artkel von Bernd Rauschenbach runden wir unsere kleine Arno Schmidt-Hommage ab. Unter der Über-schrif Mit Krach raus, mit Krach rein erzählt der Schmidt-Kenner Rauschenbach über die schwierigen 50er Jahre des jungen Arno Schmidt an der Saar. Fester Bestandteil der Saarbrücker Hefe ist seit vielen Jahren die Fenster nach-Rubrik. Ursprünglich als Fenster nach Frankreich begonnen, ist dieses Fenster längst auch in andere Himmelsrichtungen und Weltgegenden geöfnet. Unser Autor Jörg W. Gronius blickt diesmal auf das ferne Südkorea. Dort war er mit der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern auf einer Konzert-Tournee unterwegs.
Was bietet die aktuelle Ausgabe der Hefe sonst noch?In einem Interview, das Herbert Temmes mit Michael Genth, dem Vorsitzenden des Vereins für Handel und Gewerbe, führte und einem Artkel von Silvia Buss kümmern wir uns um aktuelle Fragen der Saarbrücker Stadt- und Verkehrsentwick-lung. Stefan Ripplinger erinnert an den Künstler Oto Freundlich, der lange Zeit fast vergessen war, der zur Zeit aber im Kölner Basler Kunstmuseum mit einer großen Retrospektve wieder entdeckt wird und der, wie Ripplinger berichtet, auch im Saarland Spuren hinterlassen hat. Unser Zeitgeschichte-Fachmann Joachim Heinz schreibt über den saarländischen Politker und Antfaschisten Max Braun und die Medizinerin Gisela Tascher beschäfigt sich mit dem immer noch weitge-hend tabuisierten Thema Zwangssterilisaton im Rheinland und an der Saar wäh-rend der NS-Herrschaf.Lesenswert, gerade jetzt, wo die Zeit des bedruckten Papiers zu Ende zu gehen scheint – es wird wohl so kommen – ist auch Robert Karges mediengeschicht-licher Beitrag Die ganze Welt auf Papier. In ihm blätert der Autor noch einmal zurück in die Blütezeit des bedruckten Papiers, als Flugbläter und Druckgrafken wichtge und weit verbreitete Informatonsmedien waren, als es auch in unserer Nachbarschaf, in Wissemburg und Epinal – im 18. und 19. Jahrhundert war das – große Manufakturen gab, die Bilderbögen, Flugbläter und Graphiken en masse anfertgten, druckten und verbreiteten.Lesen Sie also, solange es noch Papier und Druckerschwärze gibt, die neuen Saar-brücker Hefe.Dietmar SchmitzPS:Stanislaw SkrowaczewskiIn der letzten Nummer 113/114 der Saarbrücker Hefe erschien ein Feuilleton über den Dirigenten Stanislaw Skrowaczewski, der am 6. November 2015 zum Ehrendirigenten der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern ernannt wurde. Seit 1978 war er regelmäßig Gastdirigent des Rundfunk-Sinfonie-orchesters Saarbrücken, seit 1994 »Erster Gastdirigent«. Er spielte im Laufe der Jahre mit dem Orchester u.a. sämtliche Sinfonien von Beethoven, Brahms, Schu-mann und Bruckner auf CD ein.Am 21. Februar 2017 ist Stanislaw Skrowaczewski im Alter von 93 Jahren in seinem Wohnort Minneapolis in Minnesota/USA gestorben. Das Orchester, der Saarländische Rundfunk, Saarbrücken und die saarländischen Musikfreunde verdanken ihm unvergessliche Auführungen der klassischen und romantichen Orchesterliteratur sowie eigener Kompositonen.weiterlesen