Sagenhafte Dorfgeschichte
Overberge - erfahren, erforscht und erlebt
Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)
Als unser ältester Sohn konfirmiert wurde, besuchte uns Pastor Dusza. Während des Gesprächs ergab es sich, dass wir etwas aus der Geschichte der Overberger Kirchengemeinde erzählten. Der Pastor war der Ansicht, Overberge sei ein kleines völlig unbedeutendes Bauerndorf gewesen, das durch oder mit dem Bergbau und der Industrie überlebensfähig geworden wäre. Jetzt hörte er von der Reckschen Hauskirche und das gegenüber von unserem Haus das Pastorat, die Hofstelle des Pastors, gewesen war. Dass es eine evangelisch reformierte Hauskirchengemeinde Reck gegeben habe. Und das auf Haus Reck eine Kapelle für die Gemeinde gestanden habe. Es hatte hier kein Fortschritt, sondern Rückschritt stattgefunden. „Schreiben sie auf was sie wissen, das ist zur Erhaltung der Identität wichtig!“ sagte er uns, „Wir machen eine Broschüre daraus und die verkaufen wir!“
Mein Mann war der Ansicht, wir dürften nicht nur unsere Ansicht zu Papier bringen, alles müsse eine Unterlage haben, deshalb wäre es gut, wenn wir einige Bauern nach Urkunden befragten. Diese Idee hatte aber schon Gustav Eversberg vor dem Krieg gehabt und Theodor Eimer um 1955 herum. Bauer Bramey hatte Gustav Eversberg alle Unterlagen anvertraut, die dieser an das Staatsarchiv in Münster geben wollte. Bauer Brandt hatte Funde, die er auf dem Felde gemacht hatte, an Theodor Eimer zwecks Identifizierung gegeben. Nur ein bereits identifiziertes Tüllenbeil habe er noch in der Schublade liegen. Ortslandwirt Hilboll berichtete, dass vor einiger Zeit Geologen bei ihm gewesen wären, die auf dem Galgenberg ein Toteisloch untersuchen wollten, dies aber nicht gefunden hätten! Es sei zugeschüttet worden, um die landwirtschaftliche Nutzfläche zu erweitern, habe er ihnen gesagt. Davon und das ökologisch interessierte Nachbarn meiner Mutter heftig Einspruch erhoben hatten, weil das den Teich umgebende Gebüsch abgeholzt wurde, wusste ich. Dass der Teich ein Toteisloch gewesen war, hörten wir zum ersten Mal.
Ich schrieb nun an das Staatsarchiv Münster, um zu erfahren, ob wir die dort gelagerten Urkunden einsehen könnten. Sehr schnell bekam ich von Dr. Klosterhuis eine Antwort, diese lautete: „ Es wäre vor dem Krieg nichts eingelagert worden, aber es gebe Urkunden zu den Overberger Bauernhöfen und wir sollten kommen und sie einsehen!“ Das machten wir und waren überwältigt von der Menge an Urkunden und Informationen, die uns unter Dr. Klosterhuises Anleitung zur Verfügung standen. Sogar der Lehnsbrief vom Hof Bramey von 1418 war vorhanden. Wir ließen fotografieren, mein Mann kopierte Seiten von Findbüchern, während ich mir Notizen machte. Wir sind dann später noch zweimal dort gewesen.
Jetzt hatten wir noch die Hoffnung, dass der Sohn von Gustav Eversberg einiges besitzen könnte, vor allem die alte Dorfchronik. Wir suchten ihn auf und erhielten die, von seinem Vater erweiterten, Grundbuchakten des Richters Zuhorn. Auf dem Weg nach Haus berichtete mein Mann, dass kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner, im April 1945, beim Parteibüro der NSDAP, das in der ehemaligen kathl. Schule war, ein Feuer unterhalten wurde. Vermutlich haben nicht qualifizierte Parteigenossen alles, was an Papieren vorhanden war, verbrannt. Eine Dummheit, die Gustav Eversberg verschwieg.
Ein Besuch beim Stadtarchiv in Kamen erbrachte nichts, hier saß an zwei Nachmittagen in der Woche Studienrat Simon und schrieb an einer kleinen Kamener Stadtgeschichte. Wir hatten den Eindruck, er fühlte sich durch uns gestört. Das Schatzbuch von Marke und die von Margret Westerburg-Fritsch bearbeiteten Lehnsbücher bestellten wir bei der Bibliothek in Kamen. Mit den vorhandenen Informationen schrieb ich dann eine Dorfgeschichte 300 Exemplare konnten sofort verkauft werden, etwa 100 im Laufe der Zeit und 100 wurden verschenkt.
Wir hielten die Augen nun offen und forschten gelegentlich aus eigenem Interesse weiter. Da die Familie Soestmann zu den Vorfahren meines Mannes gehörte, fuhren wir zur Landesbibliothek nach Dortmund, hier sollte die Bearbeitung der Urbaren der Abtei Werden, bearbeitet von Kötschke, einzusehen sein. Soestmann war ein Hof dieser Abtei gewesen. Bei der Durchsicht fiel mir der Name Kleibecke auf. Es hieß immer Soestmann an der Kleibecke. Aus Schulkindertagen kannte ich den Bach Kleibecke. Diese Bezeichnung wies auf einen Bach in Overberge hin, der nach Lerche floss. Die Eintragung war aus dem Jahre 1047, ich war sicher, dies war der älteste Hinweis auf eine Besiedlung in Overberge! .Ansonsten war der Text in den Urbaren für mich unverständlich. Die Eintragung lautete „Eleemosyna Geroldi abbatis in festo Martini in domo quae vocatur Cleibecke prope Kamin.“
Was hieß „prope Kamin“? Mit nah bei Kamin wurde es übersetzt. Inzwischen wusste ich, dass Kamin ein Wort aus der indogermanischen Sprache war und Kraterseen in Griechenland als Cameni bezeichnet wurden. In einer anderen Eintragung in den Urbaren aus dem Jahre 1050 hieß es „Iuxta Cameni“. War mit Kamin oder Cameni das Toteisloch auf dem Galgenberg (Bulsekop) gemeint? In den kommenden Jahren fand ich hierfür immer mehr Anhaltspukte.
Aus den Urkunden der Stadt Kamen, die Professor Bauermann 1976 bearbeitete, geht hervor, dass viele für die Heimatgeschichte bedeutende Orte und Ereignisse im Zusammenhang mit Overberge stehen. Alles musste nun neu erforscht und in einem erweiterten Zusammenhang gesehen werden. Ortskenntnisse waren unerlässlich. Dies sah der um 1984 eingestellte Stadtarchivar Kistner von Kamen auch als unbedingt notwendig an und gab mir das Buch mit den bearbeiteten Urkunden mit nach Hause. Ich war zu ihm gekommen, um ihn nach einem Gheysthof zu befragen. In diesem Buch fand ich dann nicht nur Urkunden, die den Gheysthof betrafen, sondern auch noch Urkunden, die es ermöglichten, vorhandenes Wissen besser ein- und zuordnen zu können. Ab und zu veröffentlichte ich etwas, dann meldeten sich andere, interessierte Menschen bei mir, oft verhalfen sie mir zu weiteren Erkenntnissen.
Erleichtert wurde meine Arbeit dadurch, dass ich die alten Computer unserer Kinder bekam. Ich konnte jetzt alles wunderbar nach Jahreszahlen ordnen und eingeben, fand alles wieder und hatte eine gute Übersicht. Es tat mir als Hausfrau sehr gut, weil es mich geistig fit hielt und auch Anlass zu anregenden Gesprächen mit meinem Mann gab.
Als ich veröffentlich hatte, dass die Ritterfamilie Bitter mit „Drei Finken“ gesiegelt hatte und dass die Höfe Middendorf und Sträter einst ihrem Erben, dem Johann von Hövel gehört hatten, von dem bekannt war, das er das „ Haus von Bergcamen“ im 15 Jahrhundert besessen hatte, bekamen wir Besuch vom Bauunternehmer Heinrich Neuhaus. Dieser erzählte uns, sein Vater habe eine Karte besessen, auf der, in etwa da wo jetzt die Zeche „Drei Finken“ sei, ein rundes Gebilde eingezeichnet gewesen sei, sie hätten gerätselt was es bedeutete. Nun sei ihm beim Lesen meines Artikels der Verdacht gekommen, dort habe eine Burg gestanden. Mein Mann meinte, wenn es eine solche Karte gibt, muss sie im Katasteramt zu finden sein und fuhr dorthin. Er traf auf einen Mitarbeiter, der an der Heimatforschung interessiert war und sofort wusste wo er nachsehen musste. Stolz kam er mit der Kopie dieser Karte nach Haus. Ich benachrichtigte unseren Ortsvorsteher Walter Hölscher, dieser wollte den Landeskonservator benachrichtigen, der ihm bekannt war. Nach einigen Tagen konnte ich dann in der Zeitung lesen, dass Helga Böinghoff eine „Motte“ (Turmhügelburg) in Overberge entdeckt hätte. Eigentlich war alles ganz einfach gewesen, die richtigen Menschen hatten gut zusammengearbeitet und so waren wir einen großen Schritt in der Heimatforschung vorangekommen. Heute kann ich Namen wir Venerablis Beda, oder Begriffe wie „allodial Gut“ und „Erbhofgesetz“ bei Googel eingeben und erhalte eine Auskunft, das mühselige Blättern in Bücher bleibt oft erspart. Das Blättern in Bücher führt allerdings oft zu ungeahnten Erkenntnissen.
Alles was ich an Erkenntnissen Zeit meines Lebens gewonnen habe, habe ich zusammengefasst in der Hoffnung, dass kommende Generationen durch die Welt, in der sie leben, mit offenen Augen gehen und in eine Richtung forschen, die eine vergangene Welt anschaulich und menschlich verständlich werden lässt. Denn letztlich sind wir alle nur Zwerge auf den Schultern von Riesen.
Helga Böinghoffweiterlesen
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