Schlins 1850-1950
Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)
Im Jahre 1993 beauftragte der Schlinser Gemeindevorstand den Dornbirner Historiker Dr. Werner Bundschuh, eine Ortsgeschichte über Schlins in den hundert Jahren zwischen 1850 und 1950 zu verfassen. Ausgangspunkt der Forschung war die Frage, wie sich das Sozialgefüge und die politische Situation in einer ländlichen Gemeinde nach der Errichtung einer Fabrik (Elmer & Co, 1852) im Zuge der Industrialisierung ändert.
In den Entstehungsprozeß dieses Buches wurde auch der Gemeindevorstand miteinbezogen. Kurz vor den Gemeinderatswahlen 1995 wurde der Druckbeschluß gefaßt. Doch der offene Umgang mit der jüngsten Vergangenheit erfuhr ein jähes Ende. Der neugewählte Bürgermeister ließ den Druckauftrag stoppen, die Gemeinde distanzierte sich nun von "ihrem " Geschichtswerk. Der "Dorfstreit" um die "richtige" Sichtweise der Heimatgeschichte schlug hierauf hohe Wellen.
Im vorliegenden Band werden die politischen, gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen von der Einsetzung der Industrialisierung bis in die unmittelbare Nachkriegszeit nachgezeichnet. Auch in einer Kleingemeinde wie Schlins lassen sich im ausgehenden 19. Jahrhundert die heftigen Auseinandersetzungen zwischen den "Klerikalen" und den "Liberalen" ausmachen. Der liberale "Hirschen-Wirt" Johann Josef Jussel dominierte im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts die Dorfpolitik, und deshalb hatte gerade diese Walgau-Gemeinde neben Lustenau den höchsten Anteil an deutschnationalen Wählerstimmen aufzuweisen. Im Jahre 1912 erfolgte dann der Machtwechsel zu den Konservativen. In den zwanziger Jahren entzweiten Allmende-Aufteilungspläne die Gemeinde, die Front zwischen "Bürgern" und "Nichtbürgern" bestimmte außerdem damals das politische Geschehen.
Die Entscheidungsprozesse in einer Kleingemeinde werden stark von familiären Clans geprägt. Die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei ist oft bloß ein Vehikel, um Dorfpolitik zu machen. Dies zeigt sich zum Beispiel bei verschiedenen Bürgermeistern: Meinrad Stähele ist in den zwanziger Jahren der sozialdemokratische "Arbeiterführer", er wird unter den Austrofaschisten 1936 Gemeindeoberhaupt und bleibt es unter der braunen Diktatur. Franz Josef Jussel steht zunächst der "Wirtschaftspartei" vor. Er ist bis 1936 Bürgermeister, kandidiert jedoch 1950 als amtierender Bürgermeister (erfolglos) für die SPÖ.
In Schlins sollte nach dem "Anschluß" das erste "HJ-Heim der Ostmark" erbaut werden. Deshalb besuchte Reichsjugendführer Baldur von Schirach unter großem Propagandagetöse die Gemeinde. Nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" wollten die Protagonisten nichts mehr von den getätigten Grundtransaktionen für das HJ-Heim wissen.
Daß in einer solchen historischen Forschungsarbeit "heikle" Themen angesprochen werden, ist unvermeidlich. Die NS-Vergangenheit des nachmaligen "Ehrenbürgers" und Großindustriellen Josef Erne wird deshalb nicht ausgeklammert. Daß NS-Bürgermeister Peter Ammann wegen sexueller Nötigung sein Amt verlor, zählt ebenfalls zu jenen Kapiteln der Schlinser Geschichte, über die manche gerne noch immer den Mantel des Schweigens ausgebreitet haben möchten. In "üblichen" Heimatgeschichten fehlen oft Abschnitte über die Euthanasieopfer, die Fremd- und Zwangsarbeiter(innen) im Dorf oder die politisch Verfolgten. Sie in Erinnerung zu rufen, gehört mit zu den Aufgaben dieses Buches.weiterlesen
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