Shukrullo: Die ohne Leichentuch Begrabenen
Politische Verfolgung an der sowjetischen Peripherie, erzählt und erinnert durch den uzbekischen Dichter Shukrullo
Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)
Kaum war in Uzbekistan die Perestroika angekommen, veröffentlichte der bekannte Schriftsteller Shukrullo 1991 seine Erinnerungen an die 1950er Jahre, in denen er inhaftiert, als „Volksfeind“ verurteilt und erst nach dem Tod Stalins wieder aus dem Gulag entlassen wurde. Das Buch erregte in der Zeit des demokratischen Aufbruchs und der beginnenden natio-nalen Selbstversicherung in Uzbekistan großes Aufsehen, besonders auch bei jugendlichen Lesern, war es doch der erste – und in diesem Genre bis heute der einzige – Versuch einer Aufarbeitung der „weißen Flecken“ in der sowjetischen Geschichte des Landes.Gegenüber anderen Lager-Erinnerungen ist das Buch „Die ohne Leichentuch Begrabenen“ (Taschkent 1991) ein sehr individueller, bewusst personalisierter Bericht – es beschreibt nicht „den Archipel Gulag“, eigentlich auch nicht die „ohne Leichentuch begrabenen“ Lagerhäftlinge, sondern den Dichter und Menschen Shukrullo als Opfer der politischen Verfolgung. Der Titel weist allerdings deutlich genug in die Richtung des gesamten Buchs: Eine der großen Ängste, die Shukrullo begleiten, ist das unbeweinte Sterben in der Fremde, die Vorstellung von einem völlig unwürdigen Tod.Shukrullos Erzählung ist in ihrer Grobstruktur Erinnerung an ein linear chronologisch gerichtetes Geschehen: Inhaftierung, Inquisition, Warten, Gerichtsverfahren, Reise ins Lager, Lagerleben, Heimkehr. Innerhalb dieses simplen, sozusagen selbstverständlichen Entwurfs ist die Erzählstruktur recht komplex. Von bestimmten Erzählknoten aus werden Erinnerungen zweiter Ordnung evoziert, ebenso erinnerte Reflexio-nen bezüglich der Erzählgegenwart, und Projektionen bis zur Errettung, Entlassung und Wiedervereinigung mit seinen Lieben. Überlagert wird diese an sich schon komplexe Struktur noch von Träumen und Erinnerungen an Träume sowie von anderer Leute Erinnerungen, die Shukrullo erinnert und in seine Erzählung einflicht. Wiederholt schaltet der Autor aus der Erzählung explizit in die Gegenwart seines Erzählens zurück. Und auch wo er solches nicht ausdrücklich tut, evoziert die wendige Art, wie der Text auf Rückschau, Reflexion und Projektion angelegt ist, beim Leser unwillkürlich stets auch Assoziationen zur Gegenwart des Autors und seiner selbst. Darin liegt ein guter Teil der Sprengkraft, die das Buch auch bis heute nicht verloren hat.
Im Zusammenhang mit dem Projekt „Die ohne Leichentuch Begrabenen – politische Verfolgung an der sowjetischen Peripherie, erzählt und erinnert durch den uzbekischen Dichter Shukrullo“ wurde das Buch 1999 ins Deutsche übersetzt. Danach hat der Autor in mehreren Gesprächen mit der Bearbeiterin Ingeborg Baldauf sein Buch kommentiert, ergänzt, auch manches relativiert, anderes deutlicher auf die Gegenwart bezogen, immer unterstützt durch seine Gattin, die ebenfalls zu den Verfolgten der Stalinzeit gehörte. Aus diesen Gesprächen ist ein Kommentar zum übersetzten Text entstanden, der hier gemeinsam mit dem Buch publiziert ist.
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