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Tagebuch eines Bilddenkers I/II

Dagboek van een beelddenker. Diary of a Visual Thinker

Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)

EINIGE BIOGRAPHISCHE NOTIZEN: MIT DANK AN VIELE Zu einer Ausbildung als Künstler an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin ist es nie gekommen. Ein Versuch zugelassen zu werden blieb stecken bei der Einlieferung einer Mappe mit Arbeiten zur Beurteilung einer Kommission unter Leitung von Shinkichi Tajiri, der damals dort Professor war. Durch Ungeduld, um nach Paris zu gehen, habe ich das Ergebnis nicht mehr abgewartet. Die Mappe wurde nie abgeholt und ist inzwischen verloren gegangen. Dennoch betrachte ich mich nicht als reinen Autodidakten. Damit würde ich den Einfluss meiner Eltern verleugnen und all der Künstler, mit denen ich seit meiner Kindheit in Verbindung stand, in deren Ateliers ich mich aufhalten durfte und die mich auf spielerische Weise unterrichtet haben. Ihre Einflüsse sind von großer Bedeutung gewesen. Seit meiner frühen Kindheit war ich durch Kunst und Künstler umgeben. Mein Vater, Carl Richartz, internationaler Kunsthändler – oder Sammler, wie er sich lieber nannte – arbeitete von seinem Haus in Amsterdam aus. Es war dort ein Kommen und Gehen von Kunst, Künstler, Galeristen, Versteigerer und Museumsleuten. Als Kind musste ich häufig aufpassen, nicht zu sehr in die Nähe der – meistens expressionistischen – Kunstwerke zu geraten, die, wohl oder nicht zur Ansicht, hier und da im Haus aufgestellt standen. Mein Vater erzählte immer gerne und ausführlich über seine aktuellen Tätigkeiten. Er ließ uns die Arbeiten sehen und erklärte, berichtete auf seine Weise, auch über seine Kontakte mit Künstlern, Kollegen, Kunsthistorikern, Kritikern und seinen Besuchen von örtlichen und internationalen Versteigerungen. So erinnere ich mich noch an die Geschichte, dass er bereits in 1947 bei Emil Nolde in Seebühl zu Besuch fuhr, wo er den Maler versuchte, zu einer Ausstellung im Stedelijk Museum in Amsterdam zu überreden. Aus einer später gefundenen Korrespondenz zwischen beiden ergab sich dann, dass Nolde es noch zu früh erachtete für einer derartige Ausstellung. Besondere Erinnerungen habe ich an die vielen Besuche, wenn er uns als Kinder mitnahm, zum Beispiel als er Jan Wiegers und Charley Toorop besuchte. Weiter erinnere ich mich noch an eine Reise nach Eindhoven, wo er Edy de Wilde, damals Direktor des Van Abbe Museums, besuchte, während ich im Museumsgarten spielen durfte. Zurück in Amsterdam saßen wir dann wieder zusammen im Atelier von Jan Sluijters, mehr oder weniger bei uns um die Ecke. Ich rieche noch den Duft seiner Zigarren und sehe noch die Reihen von damals noch unverkauften Bildern, die im ganzen Haus aufgestellt waren. Mit Paul Citroen pflege mein Vater eine warme Freundschaft. Weiter bestanden Kontakte mit den deutschen Emigranten Campendonk, Fiedler und Friedrich Vordemberge-Gildewart. Von Letzterem übernahm meine Vater die Wohnung und das Atelier, als dieser Professor an der Hochschule für Gestaltung in Ulm wurde, und richtete hier seinen Kunsthandel ein. Bei all diesen Aktivitäten, bald nach dem Krieg, stand das Stedelijk Museum in Amsterdam im Mittelpunkt. Mein Vater ging dort häufig hin, um Besprechungen mit Willem Sandberg, dem Direktor, zu führen. Auf meinen Vater wartend strich dann durch das ganze Museum, wo man damals noch in vielen Sälen völlig alleine sein konnte. Nach diesen unvergesslichen Streifzügen landete ich dann meistens in der Kinderstätte des Museums, um dort die restliche Zeit zu zeichnen, zu malen und zu modellieren. Zusammen mit Sandberg wurde ich dort durch meinen Vater abgeholt und bekam nicht selten ermutigende Worte von beiden zu hören über, was ich zu Stande gebracht hatte. Dann gab es auch noch die Gallerie Sothmann, wo Hans Marcus und Magdalene Ausstellungen organisierten mit Künstlern, die damals noch zu der Avant-garde zählten. Es waren fröhliche Eröffnungen; für die Presse stand ein guter Drink bereit. Man kannte sich von der Kneipe Scheltema, ein paar Straßen weiter, damals der Treffpunkt für die Zeitungsleute der umliegenden Verlage. Ich kann mich noch gut an die spürbare Unsicherheit bei den Kunstkritikern erinnern, die sich fragten, was sie nun wieder über die Arbeiten von z.B. M.C Escher oder Melle Oldeboerrigter schreiben sollten. Eine wichtige Schule und Inspirationsquelle fand ich auch in Darmstadt, wo wir regelmäßig Ferien machten bei meiner Tante Berthilde. Sie war verheiratet mit dem Kunstmaler Erich Skubella, der Schüler des deutsche Expressionisten Otto Müller gewesen war. Er malte drinnen und draußen und duldete meine Anwesenheit dabei. Bei ihm habe ich die Grundtechniken gelernt, wie Rahmen bespannen, Grundieren, Farben und Kreide herstellen, Mischen usw. Jahre später, in meinem ersten Studienjahr der Medizin, haben mein Bruder Mark und ich mit ihm eine Malstudienreise nach Spanien unternommen. Meine Mutter war inzwischen nach Düsseldorf umgezogen und führte dort eine Filiale des Amsterdamer Kunstantiquariates Hans Marcus. Auch hier organisierte Hans eine Reihe von Ausstellungen, diesmal nicht von Avantgarde-Künstlern, sondern von Stichen und alter Graphik. Es begann mit Daumier, dann kamen chinesische Holzschnitte aus dem 17. Jahrhundert (Bambushalle), Jacques Callot und James Gilray. Schon bald wurden die Ausstellungen nicht nur in der lokalen Presse, sondern z.B. auch in der Frankfurter Allgemeinen besprochen. Das Antiquariat wurde zum „jour fixe“ von verschiedenen Künstlern, wie Horst Geldmacher, auch „Flötchen“ genannt, ein Freund von Günther Grass aus früheren Jahren auf der Akademie. Auch Kay und Lore Lorentz vom politisch-literarischem Kabarett Das Kom(m)ödchen, gebrauchten Vergrößerungen von Stichen aus dem Antiquariat zur optischen Vergrößerung des Foyers und Zuschauerraumes ihres kleinen Theaters. Und dann gab es noch Hansjörg Utzerath, Mitbegründer und jetzt Direktor der Kammerspiele, der uns in Kontakt brachte mit Schauspielern, die noch bei Brecht im Berliner Ensemble gespielt hatten. (Auch durch Utzerath sah ich zum ersten Mal eine Vorstellung des Living Theatre aus New York und sah die Truppe viel später in München und danach, ziemlich in Not geraten, in Berlin wieder). Am Abend traf man sich übrigens auch gerne in der ersten Zeit im Restaurant „Csikós“, später eher in „Fatty’s Atelier“. Igael Tumarkin, ein israelischer Bildhauer, der auch für das Berliner Ensemble Bühnenbilder angefertigt hatte, wohnte eine Weile bei uns. Aus Amsterdam kam mal plötzlich Hans van Manen herein, der offenbar mit einem Ballett in der Deutschen Oper am Rhein beschäftigt war. Einige Straßen weiter – unterwegs fast entlang Heines’s Geburthaus – lag die Galerie Schmela, wo damals die berühmt-berüchtigten Happenings von Georges Mathieu und die Eröffnungen der Ausstellungen von Yves Klein stattfanden. Beide sind seitdem in breiteren Kreisen bekannt geworden. Wieder eine Straße weiter war der „Kunstverein“, wo Dr. Radke die Leitung hatte. Er organisierte ständig interessante Ausstellungen, von denen mir besonders die von Jackson Pollock und Dada in Erinnerung geblieben sind. Dort – oder war es bei Schmela? – traf ich, diesmal in Begleitung meines Vaters den damals sehr aktuellen Bildhauer Otto Herbert Hajek aus Stuttgart. Wieder ein paar Straßen weiter war die Galerie von Hella Nebelung im Ratinger Tor, wo man auch den Bildhauer Karl Hartung antreffen konnte. Die Leute von der Kunstakademie kamen regelmäßig zu uns. Einmal saß ich oben an meinen Hausarbeiten oder war dabei zu zeichnen, als meine Mutter anrief: „Du musst runter kommen, Otto Pankok ist da.“ Ich wusste damals noch nicht, wer er war. Interessant waren auch die Besuche von Anne Klappheck, die damals ein Buch schrieb über die Mutter Ey, der legendären Figur für Künstler in Düsseldorf in der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Häufig kam sie in Begleitung ihres Sohnes Konrad, der damals wohl noch an der Kunstakademie studierte und später ein bekannter Künstler wurde. Auch traf man in Düsseldorf überall die Spuren der Gruppe ZERO an, die u.a. auch starke Kontakte mit Amsterdam pflegte. Während meiner Schulzeit pendelte ich regelmäßig zwischen beiden Städten hin und her. Die Art und Weise, wie mein Vater uns zu seinen Aktivitäten hinzu zog, wurde intensiver. Häufiger als zuvor gingen wir zusammen in Galerien, Museen, Ateliers von Künstlern, zu Kunstversteigerungen, wie Sotheby’s in London und in der Gallery Marlborough, die damals vor allem Kokoschka vertrat. Inzwischen waren Kontakte entstanden mit einer neuen Generation von Künstlern: Karel Appel, Lucebert, Tajiri, Anton Heyboer, Jan Montijn, Guillaume Lo-A-Njoe, Aat Veldhoen und er verstand es auch, Lou Louber, Künstlerin der älteren Generation, wieder ausstellen zu lassen. In Deutschland stand er vor allem in Kontakt mit Horst Janssen. Viel später übrigens, in seinem Alter, verband ihn eine starke Freundschaft mit Carel Willink. In Heidelberg wohnte ich im gleichen Stockwerk eines Studentenheimes mit dem Grafiker Klaus Staeck, später lange Zeit Präsident der Akademie der Künste in Berlin. Klaus war ein guter Kenner der deutsche Kunstszene und der aktuellen Künstlergeneration. Zusammen mit ihm habe ich in der Galerie T und den Tangenten in Karlsruhe, Freiburg und München eine ganze Reihe Ausstellungen organisiert, wovon die von Wolf Vosstell (u.a. „Fluxus“) die sensationellste war, aber auch von Montijn und Lo-A-Njoe, die u.a. durch Mitwirkung meines Vaters zustande kamen. In Galerie T fanden teilweise die Proben des Bügelbrett statt, des politischen Kabaretts von Hannelore Kaub. Auch die Arbeiten von Klaus und von mir wurden hier zuerst ausgestellt. Zwar habe ich keine akademisch Ausbildung in der bildenden Kunst genossen, dafür habe ich jedoch umso mehr von den direkten Kontakten mit den Künstlern lernen können. Der endgültige Entschluss, um nach meiner Pariser Zeit doch noch eine Kunstausbildung an der Filmakademie in Amsterdam (1974-1978) zu folgen, war weniger abwegig als man denken könnte. Während der Studienjahre in München und auch später in Berlin war ich im regen Kontakt mit vielen der damaligen Pionieren des Neuen deutschen Films: Wim Wenders, Rainer Werner Fassbender, Werner Herzog, Volker Schlöndorff, Rob Houwer, Werner Schroeter, Edgar Reitz und schließlich durch Kameramann Thomas Mauch: Alexander Kluge, der damals eine Filmabteilung an der Hochschule für Gestaltung in Ulm einrichtete. Ich kannte seine Arbeit schon seit meiner Schulzeit durch die Filmtage in Oberhausen und durch sein Buch Lebensläufe, das damals gerade erschien. Die Kontakte mit Künstlern, dem Kunsthandel und Galerien sind dann viele Jahre hindurch weiter gegangen, erst München, dann in Berlin, in Paris und Amsterdam. Schließlich hat mich mein Weg nach Bredevoort geführt, nicht zuletzt durch meine medizinische Praxis, wo ich u.a. durch die Bücheratmosphäre (Bücherstadt der Niederlande) angezogen wurde und wo ein Atelier sowie ein Lager bezahlbar waren. Dort, in der Region und über die Grenze in Deutschland, habe ich dann auch wieder Gelegenheit gefunden, um meine Arbeiten dem Publikum zu präsentieren. Die Tatsache, dass ich in meinen Jugendjahren wichtige Entwicklungen in der Kunst von so nah habe dürfen miterleben, hat wohl auf vielfältige Weise ihre Spuren hinterlassen ...,weiterlesen

Sprache(n): Niederländisch, Englisch, Deutsch

ISBN: 978-3-933377-41-8 / 978-3933377418 / 9783933377418

Verlag: Achterland

Erscheinungsdatum: 01.08.2021

Seiten: 559

Auflage: 1

Zielgruppe: Kunstwissenschaftler Allgemein

Autor(en): Michael Richartz

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