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Theorie der Achsenzeit?

polylog 38

Produktform: Buch

Einleitung Hans Schelkshorn Theorie der Achsenzeit? Die Beiträge des Themenschwerpunkts der vorliegenden Ausgabe von Polylog gehen auf das »Wiener Forum interkulturellen Philosophierens« zurück, das im Feber 2017 von der Wiener und der allgemeinen Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie (WiGiP und GIP), gemeinsam mit dem Institut für Wissenschaft und Kunst Wien (IWK) organisiert wurde. Im Zentrum des Thementags stand eine Debatte über Jaspers’ Theorie der Achsenzeit, die in der Anfangsphase eine wichtige Rahmentheorie für manche Vertreter einer »interkulturellen Philosophie« (Ram Adhar Mall, Heinz Hülsmann, Franz Martin Wimmer) bildete. Mit der Annahme von mehreren Geburtsorten der Philosophie (Indien, China, Europa) konnte der Exklusivitätsanspruch der europäischen Philosophie aufgebrochen werden. Inzwischen ist jedoch die Achsenzeittheorie sowohl in der interkulturellen Philosophie als auch in den Kulturwissenschaften zum Gegenstand vielfacher Kritik und zahlreicher Revisionen geworden. Die unterschiedlichen Debatten über die Theorie der Achsenzeit verliefen jedoch bislang auf getrennten Pfaden. Vor diesen Hintergrund versuchte das »Forum interkulturellen Philosophierens« einerseits kulturwissenschaftliche und philosophische Auseinandersetzungen mit der Achsenzeittheorie in ein Gespräch zu bringen, und andererseits ihre Relevanz für die interkulturelle Philosophie auf den Prüfstand zu stellen. Im ersten Beitrag »Bemerkungen zum Potenzial des Achsenzeit-Konzepts für global orientierte Philosophiehistorie« gibt Franz Martin Wimmer einen Überblick über die Rezeption von Jaspers’ Theorie der Achsenzeit in der neueren Philosophiegeschichtsschreibung im Allgemeinem und der interkulturellen Philosophie im Besonderen. In beiden Diskursen war die Resonanz von Jaspers bescheiden. Jaspers hat zwar mit der These mehrerer Geburtsorte der Philosophie den Eurozentrismus oder, wie Wimmer vorschlägt »Euräqualismus«, d. h. die Gleichsetzung von Philosophie mit europäischer Philosophie, aufgebrochen. Durch ihre Abwertung vorachsenzeitlicher Stadtkulturen und problematische Periodisierungen ist jedoch die Theorie der Achsenzeit nach Wimmer für eine global orientierte Philosophiehistorie kaum geeignet. Jan Assmann, der sich als Ägyptologe bereits in früherer Zeit kritisch mit Jaspers’ Geschichtsdenken auseinandergesetzt hat, lenkt in seinem Beitrag »Die Achsenzeit – zur Geschichte einer Idee« den Fokus auf die Theoriegeschichte. Das fast gleichzeitige Auftreten griechischer, indischer und chinesischer Philosophen und Religionsstifter in der Antike ist bereits am Ende des 18. Jahrhunderts vom Orientalisten Anquetil-Duperron thematisiert und, wie Assmann zeigt, seit dem 19. Jahrhundert immer wieder aufgegriffen, modifiziert und in unterschiedliche historische und geschichtsphilosophische Kontexte eingebettet worden. Mit dem Begriff der »Achse« situiert jedoch Jaspers Anquetils Beobachtung in einem Schema, das nach Jan Assmann von der christlichen Geschichtstheologie abhängig ist. Im Licht der historischen Forschungen über die vororientalischen Kulturen kommt nach Assmann der »Achsenzeit« nicht der Status einer historischen Epoche, sondern allenfalls einer heuristischen Hypothese zu. Anke Graneß beleuchtet in ihrem Beitrag »Der Kampf um den Anfang: Beginnt die Philosophie im Alten Ägypten?« die Debatte über die Genese der Philosophie in aktuellen Strömungen der afrikanischen Philosophie. Da in der Achsenzeittheorie Afrika und auch Südamerika ausgeblendet werden, hat Jaspers’ Geschichtsdenken in der afrikanischen Philosophie naturgemäß kaum Beachtung gefunden. Stattdessen beziehen sich afrikanische Philosoph_innen auf ägyptologische Forschungen, die in jüngerer Zeit den enormen Reichtum des Denkens im Alten Ägypten zugänglich gemacht haben. Graneß illustriert und prüft zugleich an zwei Beispielen, der Lehre des Ptahhotep und der Lehre des Ani, wie afrikanische Philosophien den Ursprung der Philosophie im Alten Ägypten verorten und zugleich Beziehungen zum Denken im subsaharischen Afrika herstellen. Heiner Roetz setzt sich in seinem Beitrag »Die Achsenzeit im Diskurs der chinesischen Moderne« in kritischer Weise mit aktuellen Rezeptionen der Achsenzeittheorie in China auseinander. Vor allem chinesische Vertreter des Ansatzes der »multiple modernities« wie Tu Weiming stützen sich in ihrer Kritik an europäischen aufklärerischen Theorien der Moderne immer wieder auf Jaspers’ Theorie der Achsenzeit. Die kulturrelativistische Rezeption der Achsenzeittheorie, in der China als eigenständige Zivilisation neben anderen situiert wird, ist in jüngster Zeit von der obersten Führung gleichsam politisch sanktioniert worden. In dem Versuch, am Leitseil der Theorie der Achsenzeit zu den antiken Quellen der chinesischen Kultur zurückzugehen, um die neue geopolitische Machtstellung Chinas kulturphilosophisch zu stützen, werden jedoch, wie Roetz zeigt, zentrale Ideen der Jaspers’schen Geschichtsphilosophie, insbesondere der Durchbruch zu kritischer Reflexion bzw. zum Prinzip der Subjektivität. Die Jaspers’sche Theorie der Achsenzeit zielt daher nicht auf eine Abschottung von Kulturen, sondern auf eine universale Kommunikation. Inmitten der weltweiten Welle kulturnationalistischer Bewegungen hat nach Roetz der aufklärerische Kern der Jaspersschen Achsenzeit-These eine neue Aktualität gewonnen. Im abschließenden Beitrag »Die Moderne als zweite Achsenzeit. Zu einer globalen Geschichtsphilosophie mit und gegen Jaspers« stellt Hans Schelkshorn den Gesamthorizont von Jaspers’ Geschichtsphilosophie, in der die Achsenzeit nur einen, wenn auch zentralen Teil, bildet, auf den Prüfstand. In der These der Achsenzeit überlagern sich nach Schelkshorn zwei Perspektiven, einerseits die These eines Aufklärungsschubs, der einen »Streit der Schulen« entfacht, andererseits die Fokussierung auf metaphysische und religiöse Bewegungen, die sich aus Jaspers’ pessimistischer Zeitdiagnose ergibt, wonach in der Neuzeit die Menschheit durch moderne Wissenschaft und Technik in einen Nihilismus gestürzt sei. Aus diesem Grund entwirft Jaspers die Vision einer spirituell-religiösen Erneuerung in einer Zweiten Achsenzeit. Da seit der Renaissance neue radikale Aufklärungsschübe, die eng mit den frühneuzeitlichen Globalisierungsprozessen verwoben sind, einsetzen, muss nach Schelkshorn gegen und zugleich mit Jaspers die Moderne selbst als eine Zweite Achsenzeit bestimmt werden. In der Zweiten Achsenzeit wandelt sich der »Streit der Schulen«, der in der Antike weithin in den Grenzen der Ökumenen verblieb, zu einem globalen Diskurs über die Moderne, der spätestens seit dem 19. Jahrhundert das Medium interkultureller Philosophien bildet.weiterlesen

Sprache(n): Deutsch

ISBN: 978-3-901989-37-7 / 978-3901989377 / 9783901989377

Verlag: Wiener Gesellschaft f. interkulturelle Philosophie

Erscheinungsdatum: 01.02.2018

Seiten: 136

Auflage: 1

Autor(en): Jan Assmann, Heiner Roetz, Franz Martin Wimmer, Hans Schelkshorn, Anke Graneß, Johanna Maj Schmidt
Umschlaggestaltung von Michael Shorny

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