Wir haben Briefe geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Jemand von uns hat in London einen Zettel unter seiner Wohnungstür durchgeschoben. Er war dann zu sprechen. Doch die Bandmaschine musste ausgeschaltet bleiben.
Er wurde in Nürnberg geboren. Seine Eltern, orthodoxe Juden, und fast alle anderen Familienangehörigen wurden während des Zweiten Weltkriegs von den Nazis ermordet. Als ihn 1939 das "Refugee Children Movement" rettete und nach England brachte, war er zwölf. Zwanzig Jahre später zeigte er in einem Londoner Café seine erste Einzelausstellung "Three Paintings by G. Metzger".
Vor einem halben Jahrhundert veröffentlichte er sein erstes Manifest, in dem er sein Konzept der Autodestruktiven Kunst definierte: "Auto-destructive art is primarily a form of public art for industrial societies."
Bei seiner "South Bank Demonstration" in London 1961 führte er mit "acid action painting" erstmals autodestruktive Kunst im öffentlichen Raum vor. Wenige Jahre später entwickelte er die Autokreative Kunst. Er war Gründungsmitglied des "Committee of 100", das sich gegen Atomkrieg und Massenvernichtungswaffen engagierte, er nahm an Demonstrationen teil und musste eine einmonatige Haft im Gefängnis in Staffordshire absitzen. Seine "Liquid Crystal Projections" führte er in den 1960er Jahren bei Konzerten der Bands The Cream, The Move und The Who in London vor. Pete Townsend wurde von einem seiner Vorträge zu seinen Gitarrenzertrümmerungen inspiriert. 1966 initiierte und veranstaltete er in London das "Destruction in Art Symposium" (DIAS), an dem sich zahlreiche Künstler beteiligten, unter ihnen Bob Cobbing, Henri Chopin, Ivor Davies, Al Hansen, Juan Hidalgo, Kurt Kren, John Latham, Jean-Jacques Lebel, Otto Mühl, Ralph Ortiz, Yoko Ono, Robin Page, Wolf Vostell und Peter Weibel.
"Years without Art": An seinem Kunststreik, zu dem er in den 1970er Jahren aufrief und der drei Jahre dauern sollte, wollte sich damals niemand beteiligen. Die Zusagen für unser Projekt "Tribute to Gustav Metzger" dagegen kamen schnell und zahlreich. Demonstrationen, Manifeste, Konzepte, Ausstellungen - es ist ein verstörendes, radikales Lebenswerk, das eine subjektive, angemessene Antwort auf die Vernichtungsmechanismen des zwanzigsten Jahrhunderts und der Gegenwart gibt und das zum Widerspruch, zum Kommentar, zur Referenz einlädt. Wir fanden in Justin Hoffmann, der sich seit langem mit dem Thema Destruktionskunst beschäftigt, den richtigen Mann, um das Tribute-Projekt zu kuratieren.
(Katarina Agathos / Herbert Kapfer)
Ein "Tribute to Gustav Metzger" zu konzipieren, ist in jeder Hinsicht eine Herausforderung. Nicht nur, dass eine prinzipielle Schwierigkeit darin besteht, die Produktion und das Denken eines bildenden Künstlers ins Radio und auf CD, also auf eine akustische Ebene zu bringen, sondern auch das Oeuvre von Metzger selbst ist sperrig genug, um in Komplikationen im Umgang mit ihm zu geraten. Umso mehr danke ich allen Beitragenden, die sich nicht scheuten, dieses Risiko einzugehen.
Eingeladen wurden zu diesem Projekt bildende Künstler, die zum gegenwärtigen Freundeskreis Metzgers (Eva Weinmayr, Lee Holden) gehören oder früher im Austausch mit ihm standen (Yoko Ono). Andere kommen aus dem Feld der Musik, z.B. Cobra Killer, Ted Gaier / Mense Reents oder Carl Oesterhelt. Die meisten aber sind in beiden Bereichen tätig und verbinden in ihrer kulturellen Praxis Musik und Kunst auf unter-schiedlichste Weise. Entsprechend different, aber auch abwechslungsreich erweist sich die Kompilation der Tribute-Tracks, deren Charakter aber nicht unbedingt durch die jeweilige kulturelle Herkunft erklärt werden kann. Einige Beiträge setzen mehr auf das Wort, andere produzieren Soundcollagen ohne Text. Nicht wenige schufen Songs. Einige der Songtexte zitieren direkt Metzger, andere reflektieren über ihn. Verschiedene Werkgruppen und Strategien von Gustav Metzger werden auf der CD gewürdigt - die Referenzen gehen in verschiedene Richtungen. Die Mehrzahl der Tracks bezieht sich auf seine Idee der Autodestruktiven Kunst, einige aber auch auf sein Konzept der Autokreativen Kunst mit ihren Komponenten Zufall und Varianz. Michaela Melián nimmt Bezug auf Metzgers Aufruf aus den 70er Jahren, mit einem dreijährigen Art Strike das Kunstsystem zu erschüttern und neu zu formieren. Auf diesem Track ist auch Gustav Metzgers Stimme zu hören, die hier geloopt den Rhythmus angibt.
Alle Beteiligten, nicht zuletzt der Bayerische Rundfunk, verbindet der Wunsch, mit diesem Projekt das einzigartige Oeuvre von Gustav Metzger zu würdigen. Wir hoffen, ihm gefällt dieses Geschenk.
(Justin Hoffmann, Wolfsburg, 1.9.2008)
Mit: Anna McCarthy - Anton Kaun - Carl Oesterhelt - Catriona Shaw - Cobra Killer – Dennis Graef - Dompteur Mooner - Eva Weinmayr - Frau Kraushaar & Nova Huta Lee Holden - Max Müller - Melissa Logan - Michaela Melián - Mosh Mosh - POLLYester - Rhythm King and her friends - Schwestern Brüll feat. Raumschiff Engelmayr - Stewart Home / Nigel Ayers - Ted Gaier / Mense Reents - Wolfgang Müller - Yoko Onoweiterlesen