Tuareg-Aufstand in der Wüste
Ein Beitrag zur Anthropologie der Gewalt und des Krieges – Mit einem Geleitwort von Trutz von Trotha
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Von außen betrachtet sind die Tuaregrebellionen, auch im Vergleich zu vielen anderen aktuellen Kriegen in Afrika, gänzlich unspektakuläre Ereignisse gewesen: Sie wurden in unwirtlichen und entlegenen Gebieten der Staaten Mali und Niger geführt, die selbst zu den ärmsten und am wenigsten bekannten Ländern der Welt gehören, bedrohten kaum die angrenzenden Staaten, geschweige denn den Weltfrieden, weckten nicht den Appetit dritter Mächte, so dass militärische Interventionen von außen ausgeblieben sind, und sie betrafen schließlich eine vergleichsweise geringe Zahl von Menschen.
Die Tuaregrebellionen sind Teil einer Reihe von aktuellen Kriegen in Afrika und anderen Teilen der sogenannten Dritten Welt die in einem engen Bezug zur Entstehung und zum Zerfall des (modernen) Staates stehen. Wie schon die Einrichtung des Kolonialstaates in Afrika ist auch der Zerfall des postkolonialen Staates von Gewalt begleitet; vor allem der Zusammenbruch des staatlichen Gewaltmonopols und daraus resultierende Kriege belegen, dass die Utopie des westlichen Staatsmodells im postkolonialen Afrika weitgehend gescheitert ist. Die Schwäche vieler afrikanischer Staaten macht nicht nur deutlich, dass das staatliche Gewaltmonopol zusammenbrechen kann, sie eröffnet ethnischen Gruppen auch die Chance, eigene, in ihrer Tradition begründete Organisationsvorstellungen erfolgreich gegen das staatliche Organisationsmodell durchzusetzen.
Die vorliegende Studie ist zwei Zielen gewidmet: sowohl einen Beitrag zur geschichtlichen Aufarbeitung der Tuaregrebellionen als auch zur Ethnologie und Soziologie des Krieges zu leisten. Ausgehend von der Frage, warum sich in den multi-ethnischen Staaten Mali und Niger gerade die Tuareg mit Gewalt gegen die jeweiligen Zentralregierungen erhoben haben, orientiert sich der Autor an drei Fragekomplexen: Er zeichnet Prozesse ethnischer Identitätsbildung und Abgrenzung bei den Tuareg sowie die Entwicklung ihrer Beziehungen zu anderen, benachbarten Ethnien nach, entschlüsselt dann die emische Logik und die interne Rechtfertigung für die Aufnahme von Gewalt und macht schließlich, bei den Untersuchungen zum Verhältnis der Tuareg zum nachkolonialen Staat, weiterführende Aussagen über den Charakter staatlicher Herrschaft in diesem Teil Afrikas.
Index: 1. Personen-, Gruppen- u. Ortsnamen, 2. Sachbegriffe
Anhang: Lieder und Gedichte der Rebellen.
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Geleitwort (Trutz von Trotha †)
Wer zukünftig über den Kleinkrieg und die oft gewaltsame Suche nach neuen politischen Ordnungen jenseits des postkolonialen Staates in Afrika nachdenken und schreiben will, wird in meinen Augen nicht an diesem Buch von Georg Klute vorbeikommen.
Der Sache nach will es einen Beitrag zur geschichtlichen Darstellung der Tuaregrebellionen bis in die späten 1990er Jahre leisten. Aber weit gefehlt! Mit sorgsamen und systematischen Schritten von der emischen zur analytischen Betrachtungsweise wird hier eine allgemeine Theorie der Gewalt vorgelegt, darunter vor allem eine des Kleinkrieges und seiner Bändigung durch politische Herrschaft. Konsequent wird auf der Prozesshaftigkeit von Gewalt und Herrschaft bestanden, und die Zerbrechlichkeit von politischer Herrschaft gegenwärtig gemacht.
Es ist ein Prozess zwischen dem Zustand der „verallgemeinerten Gewalt“, wie Georg Klute in Anlehnung an Kurt Beck sich ausdrückt und einer prekären parasouveränen Herrschaft, der es vor allem gelingen muss, die „Basislegitimität“ des Schutzes vor Gewalt für sich zu gewinnen. Während man dies als den herrschafts-soziologischen Kern der Darstellung von Klute ansehen kann, enthält die Abhandlung zahlreiche weitere wichtige theoretische Konzepte, wie eine neue Vorstellung von „ethnizistischen“ Bewegungen, „staatlicher Ethnizität“ oder der Zeit im sich wandelnden Ordnungsrahmen des Kleinkrieges. Hier wird ein methodisches Feuerwerk von solcher Originalität entzündet, wie es mir in der einschlägigen Literatur noch nicht begegnet ist.
Radikal wird mit der emischen Perspektive der Ethnologie ernst gemacht. So beginnt Klute mit der geschichtlichen Rekonstruktion der Tuaregrebellionen mit einer gründlichen und packenden Analyse der Lieder und der Poesie der Tuareg bzw. der Išumar.
Schließlich ist das Buch sicherlich auch für den Spezialisten der Tuaregrebellionen aufschlussreich. Es ist von solch einem ethnographischen Reichtum und weicht von den bisherigen Darstellungen dadurch ab, dass es transnationale Aspekte wie die Länder Niger, Algerien und Libyen ebenso wie die Thematik des Exils einschließt.
Ich bin sehr froh, dieses Buch in der Siegener Reihe veröffentlichen zu können, zumal jeder Leser inzwischen weiß, dass Nordmali wieder brennt. Wenn auch dieser erneute Kleinkrieg nicht aus den Erwartungen herausfiel, vor allem nach der Lektüre dieses Buches, war der schnelle Vorstoß eines Teils der Tuaregrebellen und Araber, der von den Franzosen gestoppt wurde, doch überraschend für mich.
Unvorhersehbarkeit bestimmt stets den Ausbruch der Kleinkriege. Auch Georg Klute wurde von den Rebellionen der Tuareg überrascht, was umso mehr sein wissenschaftliches Interesse weckte. Dieses Buch ist wunderbar klar und spannend geschrieben, und ich wünsche ihm eine große Leserschaft.
Trutz von Trotha
Freiburg, im Mai 2013
REZENSIONEN
„Während der vergangenen Jahrzehnte haben Aufstände von Tuareg, aber auch Entführungen und zuletzt der Krieg und die französische Intervention Anfang 2012 immer wieder für kurze Zeit die Aufmerksamkeit auf den Norden von Mali und Niger sowie den Süden Algeriens gelenkt. Georg Klute hat diese teils überraschenden und stürmischen Entwicklungen seit dem Beginn des Aufstandes in Mali 1990 intensiv erforscht. Nicht zuletzt aufgrund seiner ungewöhnlichen Kontakte zu wichtigen Akteuren und seiner intimen und langjährigen Kenntnis der Region ist aus diesen Arbeiten eine im besten Sinne „dichte Beschreibung“ des Aufstandes der 1990er Jahre, seiner Hintergründe und Folgen entstanden. [...] Insgesamt erscheint es kaum möglich, diesem faszinierenden Buch in einer Rezension gerecht zu werden. Es fordert – fördert aber auch – die Bereitschaft, sich einsaugen zu lassen und dem Autor auch in die Arabesken etymologischer Darlegungen und biographischer Details von manchmal mythologischen Personen sowie einer manchmal in die Zeit der islamischen Eroberung Nordafrikas zurückreichenden longue durée zu folgen.”
(Reinhart Kößler in „Peripherie” 134/135, 371-373)
“The book divides into four parts that cover the main aspects of Klute's research interests over the years: the poetry of rebellion; exile; desert war; and regional structures and concepts of power (Herrschaft). All four tell the same story – that of the genesis, development and aftermath of rebellion in northern Mali in the 1990s – from different, but mostly internal, perspectives, thus providing a detailed picture of the socio-cultural background and motivations of Malian rebels. Comparative material is drawn from northern Niger and southern Algeria. At 170 pages, the first section is the longest. It is based on a collection of Tuareg songs dating from 1978 to the mid-1990s, which are analysed in detail and with great linguistic sensibility, thereby making much original material accessible here for the first time to European readers. The second part, ‘Exile’, provides an internal view of emigration and return, by drawing parallels with older patterns of Tuareg mobility. In this section, Klute touches on trans-border trade and smuggling, thereby providing a much-needed reminder of the historicity and banality of many of the networks that are today often decried as ‘criminal’ or even ‘Islamist’. He also details the importance of regional connections, in particular with Libya, in preparations for the 1991 rebellion. Part 3, on desert war, provides an in-depth account of the practicalities of rebel warfare in northern Mali; to my knowledge, this is unique in its approach and detail, although the strategic slant adopted feels at times uncomfortably close to international security concerns. Part 4 investigates local notions of power, tracing the career of the Ifoghas group in the Malian Adar from colonial times to the present. Although the colonial history of the area is relatively well known (and, indeed, the author seems to draw on relatively limited primary sources), the second half of this section is concerned with the contemporary situation, in particular with regard to how the traditional leading families in the area have succeeded in increasing their power through and after the rebellion. This last section provides fascinating insights into a little-known topic, and constitutes, to my mind, the most coherent and convincing interpretation of recent political dynamics in the Kidal region that has appeared to date. Overall, the book provides an extremely rich and well-researched account of socio-cultural and economic developments in northern Mali, from the late 1970s onwards. Based on a mixture of internal documentation, innumerable interviews and very long-term participant observation, it is the most complete analysis of events in the Kidal region – and of recent ‘Tuareg rebellions’ more generally – that exists.”
Judith Scheele in “Africa – The Journal of the International Africa Institute” Vol. 85/1, 2015, 165-167)weiterlesen
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