In den frühen 1800er Jahren stellte die französische Psychiatrie mit großer Entschiedenheit die Frage: Was ist Wahnsinn? Jean Itard, ein in Deutschland weniger bekannter Arzt, versuchte, diese Frage in einem im Jahr 1802 unter dem Titel Vésanies – Wahnsinn veröffentlichten Text zu beantworten. Darin reflektiert Itard, ein Schüler wichtiger Protagonisten der frühen Psychiatrie wie Philippe Pinel, u.a. über die zahlreichen Bemühungen, drängende Fragen im Zusammenhang mit neuen medizinischen Herausforderungen zu klären: Woher kommt der Wahnsinn? Wie kann er behandelt werden? Was unterscheidet psychische Gesundheit von Krankheit?
Der Text formuliert einerseits entschiedene Thesen zu den aufgeworfenen Fragen, bleibt jedoch in seiner Manuskriptform gleichzeitig vielschichtig. Als origineller Beitrag zur Geschichte der Psychiatrie, des Wahnsinns und der Beschreibungsformen psychischer Krankheit wird dieser Text erstmals in deutscher Übersetzung präsentiert. Die Grundlage dafür bildet die Edition des französischen Originals, die Thierry Gineste erstmals im Jahr 1993 in einer Sammlung von Texten Itards veröffentlichte. Auch wenn es gewiss zu weit geht, Itards Text über den Wahnsinn mit Gineste als den »Rosettastein der Psychiatrie« zu bezeichnen, belegt die Lektüre zweifelsohne, dass Itard hier auf äußerst originelle und produktiv anregende Weise den Wahnsinn neu denkt.weiterlesen