Villa und christlicher Kult auf der Iberischen Halbinsel in Spätantike und Westgotenzeit
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Der Band „Villa und christlicher Kult in Spätantike und Westgotenzeit auf der Iberischen Halbinsel“ untersucht erstmalig und unter Berücksichtigung zahlreicher Neufunde alle bekannten, also nicht nur spätantiken Villenanlagen auf der Iberischen Halbinsel unter dem Aspekt der Christianisierung. Auf ausgedehnten Reisen wurden sämtliche hier behandelten Denkmäler und Siedlungsräume besucht. Durch Autopsie und Diskussion mit den Ausgräbern konnten manche neuen Erkenntnisse gewonnen werden.Nach einem Abriss der historischen Rahmenbedingungen und einem Abschnitt Forschungsgeschichte, der die bisherige Villenforschung mit punktuellen Hinweisen auf Christianisierung behandelt, war aufgrund des Interessenskonfliktes zwischen privaten Stiftern und Amtskirche ausführlich auf die Behandlung von Kirchen auf Privatbesitz in den hispanischen Konzilsakten einzugehen und zu untersuchen, inwieweit sich Informationen aus diesen im archäologischen Befund wiederfinden. Neben den materiell greifbaren Resten bieten die Kanones der auf der Iberischen Halbinsel abgehaltenen Synoden eine reich fließende Quelle mit vielschichtigen Erwähnungen christlicher Kultbauten auf dem Land und Hinweisen zu deren kirchlicher Organisation. Die gut edierten Konzilsakten haben sich ab der Synode von Elvira bei Granada, die zwischen 306 und 314 stattgefunden haben muss, bis zum 17. und damit letzten westgotischen Reichskonzil von Toledo überliefert, das im Jahre 694 zusammentrat. Hier ist unter anderem von aus der Sicht der Amtskirche herätischen Versammlungen ad alienas villas die Rede, vom Gebot der Teilnahme an Kirchenfesten in der Stadt und dem Verbot eines sedere in villam. Sie verpflichten die Priester zur Teilnahme am täglichen Gottesdienst, ob dieser nun in der ecclesia einer Stadt gefeiert wird aut castelli aut vicus aut villae, wie es im frühesten schriftlich überlieferten Zeugnis aus dem Jahr 400 (1. Konzil von Toledo) heißt, das die Existenz von Gotteshäusern auf dem Lande belegt.Schließlich galt es die komplexe Problematik der sog. „Eigenkirchen“ kritisch zu beleuchten und in weltlichen Gesetzestexten, Quellen und der Epigraphik nach Hinweisen auf private Kirchenstiftungen zu suchen. Das Ringen um Einfluss auf diese private Stiftertätigkeit von Seiten der Kirchenhierarchie, das seinen Niederschlag in den Konzilsakten findet, zeigt, dass die Position der Bischöfe zu schwach war, um ihre Interessen wirksam gegen die Eigenmächtigkeiten und das Streben nach Unabhängigkeit der Kirchenstifter auf dem Land durchzusetzen. Der Streit um Auswahl und Bestellung der Kleriker für diese Privatkirchen und die Verfügung über die Einkünfte an die privaten Stiftungen belasten das Verhältnis zwischen Grundbesitzern und Bischöfen über Jahrhunderte.An dieser Stelle ist festzuhalten, dass die christlichen Kultbauten auf Privatbesitz zusammen mit ihren Baptisterien und Friedhöfen zwar eine Einheit bilden und eine gewisse Eigenständigkeit bezeugen, die von der Forschung gerne mit dem Institut der Eigenkirche oder iglesia propia in Verbindung gebracht wird. Bei diesen hispanischen Kirchenstiftungen von Grundherren handelt es sich im streng kanonistischen Sinne jedoch nicht um Eigenkirchen, da die Gründung einer Kirche durch einen Laien diese noch nicht zur Eigenkirche macht. Es existiert hier eher ein Patronatsverhältnis durch den Kirchenstifter. Eine Eigenkirche im engeren Sinn würde in keiner Weise dem öffentlichen Recht der Kirche und damit dem des Bischofs unterliegen. Es findet sich in den Konzilsakten jedoch kein Beleg dafür, dass Bischöfe den Verlust des Kirchenbesitzes und der Einkünfte aus diesen je akzeptiert hätten.Während die frühen christlichen Kultbauten in den städtischen Zentren aufgrund Umgestaltung, Zerstörung und Überbauung archäologisch nur schwer zu fassen sind, bietet das ländliche Umfeld für die Spätantike und Westgotenzeit weitaus klarere Befunde. Der ländliche Bereich mit seinen in den Weiten der Iberischen Halbinsel verstreut gelegenen Villen und dorfähnlichen Siedlungen wurde gerade in den abgelegenen und schwer zugänglichen Regionen erst verhältnismäßig spät vom Christentum berührt, das diese Gebiete nach und nach aus den Städten erreichte.Bei den Kirchen auf dem Land standen weniger die Aktivitäten von Kaisern oder Bischöfen als Vertretern der Amtskirche im Vordergrund, sondern die private Frömmigkeit Einzelner, die aus Eigeninitiative beginnen, auf ihren Besitzungen Oratorien und kleine Kirchen für sich und ihre familia zu errichten. Das alte Ideal des otium auf dem Landsitz, der Rückzug hin zu intellektueller Beschäftigung, konnte nun in einer christlichen Ausprägung als Asketik innerhalb der eigenen Domäne gewissermaßen als agricola Christianus ausgelebt werden wie aus den Schriftquellen spätantiker Aristokraten zu erfahren ist.Betrachtet man die gut 60 behandelten Monumente in ihrer Gesamtheit, so ergibt sich über die Jahrhunderte ein ausgesprochen heterogenes Bild, das einem Wunsch nach Regelhaftigkeit widerspricht. Dies ist allerdings nicht verwunderlich, da es sich um Bauten handelt, die von ganz verschiedenen Auftraggebern nach eigenen Vorstellungen und Wünschen für unterschiedliche Bedürfnisse errichtet wurden. Hinzu kommt, dass in vielen Fällen bereits Vorhandenes wiederverwendet oder umgewidmet wurde, das seinerseits Auswirkungen auf das Neue hatte. Die Umnützung vorhandener Bausubstanz erfolgt eben nicht nach vorgegebenen Mustern und Plänen, sondern entfaltet sich ad hoc und ist ganz an die örtlichen und individuellen Verhältnisse gebunden. Trotz aller Heterogenität der im Rahmen dieser Untersuchung behandelten Denkmäler lassen sich aber Grundzüge feststellen, die anhand von ausgewählten Monumenten vorgestellt werden.Zunächst sind die zahlreichen Beispiele von Villenanlagen mit angeblichen Hinweisen auf christlichen Kult und einer vermeintlichen Kultkontinuität bis in die Neuzeit auszusondern. Auch die vielen Beispiele für zeichenhafte Christianisierung in Form von christlichen Symbolen und Inschriften auf Schmuck und Alltagsgerät, können analog zur Verwendung christlich-antiker Sarkophage durch vermögende Villenbesitzer lediglich einen mehr oder minder gesicherten Rückschluss auf den Glauben der dort ansässigen Menschen geben. Erst wenn neben epigraphischen Zeugnissen liturgische Einrichtungen wie Altarmensen, Schrankenplatten und Taufpiscinen als objektive Kriterien für die Existenz eines christlichen Kultbaus nachweisbar sind, kann von einem Oratorium innerhalb der Baulichkeiten einer Villa oder einem ex novo in der Umgebung errichteten Kirchenbau gesprochen werden. Repräsentative Mausoleen vermögender Villenbesitzer wurden in der Folge zu christlichen Kultbauten mit dem besonders verehrten Stiftergrab umgestaltet und um Einrichtungen zur Taufe erweitert. Jüngste Neufunde belegen anschaulich, dass sich auch Vertreter der Amtskirche ähnlich wie Latifundienbesitzer verhalten. Auch sie haben ein großes Bedürfnis nach Repräsentation mit einem prächtigen Amtssitz, hochverehrten Reliquien und der Möglichkeit von ad-sanctos-Bestattungen bei einem christlichen Kultbau. Zum Abschluss ist auf die quantitativ betrachtet größte Gruppe der christlichen Kultbauten aus dem 6./7. Jahrhundert einzugehen, die in Zusammenhang mit spätantiken Villen und ländlichen Ansiedlungen stehen. Installationen zur Spende des Taufsakramentes sprechen im ländlichen Kontext für Gemeindekirchen, die den Bewohnern eines oder mehrerer umliegender Gehöfte dienen. Diese kultischen und sozialen Zentren werden im weiteren Verlauf ihres Bestehens zunehmend mit Gräbern belegt.Angesichts der Denkmälerfülle und trotz aller Heterogenität der Befunde wird einmal deutlich, dass Reliquien vorrangig im 4. und 5. Jahrhundert eine Rolle spielen und dass zunächst in den spätantiken Villen kleinere Oratorien für die Bewohner errichtet werden. Erst in westgotischer Zeit, also ab dem 6. Jahrhundert kommt es zum Bau größerer Kirchen im Umfeld der mittlerweile zersiedelten Villen.Als Beweggrund der Villenbesitzer, auf oder bei ihren Besitzungen christliche Kultbauten zu errichten, ist an erster Stelle die private Frömmigkeit zu nennen. Diese kann sich auf die Verwendung christlicher Zeichen und Symbole beschränken, oder aber zum Bau privater Oratorien führen, ähnlich wie schon in der Kaiserzeit auf den Latifundien Heiligtümer zur Ausübung pagener Kulte errichtet wurden. Angesichts der ungeheuren Weiten auf der Iberischen Halbinsel könnte ein Grund für den Bau eigener christlicher Kultbauten sein, dass die Reise zum nächsten städtischen Zentrum einfach zu weit und zu beschwerlich war.Ein weiterer zentraler Beweggrund ist die Reliquienverehrung und der prestigeträchtige Reliquienbesitz, der unter den Angehörigen der spätantiken Oberschicht eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Zum Reliquienbesitz tritt der Wunsch nach standesgemäßer Bestattung, entweder in einem prächtigen Mausoleum oder aber als ad-sanctos-Bestattung in der Nähe verehrter Reliquien. Private Kirchenstiftungen konnten so reich ausgestattet sein, dass ihr Glanz weit ausstrahlte und Gläubige von weiter her anzog. Diese möglicherweise ungewollte Attraktivität löste schnell ein Problem mit der Amtskirche aus, wie zahlreiche Kanones der Konzilien verraten. Dreh- und Angelpunkt für die langandauernden Konflikte zwischen den Stiftern und den Bischöfen wird neben der Auswahl und Bestellung der Kleriker für die Kirchen auf Privatbesitz vor allem die Verfügung über die nicht ausbleibenden Oblationen an die privaten Stiftungen sein. Kleinere, in die Villenkomplexe integrierte christliche Kultbauten werden kaum weitreichende Probleme ausgelöst haben, da sie vermutlich nur für dort Ansässige errichtet wurden und damit keine überregionale Bedeutung hatten. Zu einem späteren Zeitpunkt kann bei solchen privaten Stiftungen die Erinnerung an den eigentlichen Stifter verblasst sein, sein Grab wird selbst ein Ort der Verehrung und seine zunächst private Kirchengründung wird - ungewollt - zu einem Zentrum für die Gläubigen der weiteren Umgebung.Dagegen kann man von einer durchaus gewollten Attraktivität sprechen, wenn die private Stiftung ganz bewusst zu einem kultischen Zentrum ausgebaut wird. Dabei sind besonders Baptisterien Indizien für eine Gemeindebildung und den Versuch, eine liturgische Dezentralisierung zu forcieren. Die Konzilsakten spiegeln die Kontroversen zwischen Stiftern und Bischöfen wider und belegen anschaulich den Wunsch der Amtskirche, die Spende der Taufe zu monopolisieren.Abschließend ist für die Iberische Halbinsel festzustellen, dass in späterer westgotischer Zeit etwa ab dem 6. Jahrhundert die Bedeutung der Latifundien und damit auch die Macht der Besitzerfamilien stetig abnimmt. Wie eine Reihe von siedlungstopographischen Studien beispielsweise für das Hinterland von Mérida zeigen konnten, kommt es immer mehr zu einer dörflichen Zersiedlung größerer Anlagen und einer kleinteiligen Besiedlung des Landes in Form von verstreuten Gehöften. Heute vermeintlich isoliert liegende Kirchen, die sämtlich über Einrichtungen zur Taufe verfügen, dienen ihrer weiteren Umgebung als kultische Zentren und markieren so den Wandel von der Privatkirche hin zur Gemeindekirche. In Rückzugsgebieten wird sich diese Struktur bis in die Zeit nach der arabischen Eroberung der Halbinsel halten.
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