Li Mollets weiße Linien ist ein flirrendes und summendes, zugleich streng nach Plan aufgebautes Prosabuch, in dem u.a. Zahlenverhältnisse eine Rolle spielen. Eine Spur zieht zunächst die Erzählung von einem Tag aus dem Leben Josefines, vom an den leeren Stuhl gerichteten Morgengruß bis zum Gutenachtkuss für das Kissen. Durchkreuzt wird deren Chronologie von exakt drei hoch vier aus Zeitschnipseln zusammengesetzten, stets gleich umfangreichen Miniaturen um eine Frau mit leiser Stimme, ein kleines Mädchen und ein weiblichen Ich, zu dem auch ein Er gehört. Aus dem Kontinuum sezierte Sätze verbinden sich zu superdichten Gebilden, in denen das System der Zuordnung von Gewesenem und Zukünftigem zu einer vielfach aufgefalteten All-Gegenwart zerfließt.
Bei aller Konkretheit des Alltäglichen überzieht ein Schleier des Rätsel- und Zauberhaften die Verrichtungen und Gesten von Li Mollets Figuren, deren Stimmungen von Vereinzelung und Freudlosigkeit, aber auch Protest und Lust auf Veränderung grundiert sind. Letztere befeuert das klang- und farbreiche Idiom dieser Prosa selbst: Eine mit elementaren, körperhaften Attributen aufgeladene Sprache bewirkt, dass Wörter Schatten werfen, Sätze schaukeln und im Winde wehen als Fanale, andere Möglichkeiten des Daseins zu denken und alternative Zustände ebenso.weiterlesen