Wilhelm Löhes (1808-1872) Berliner Tagebuch vom Sommer 1828 lässt den jungen, gerade 20jährigen Theologiestudenten zu Wort kommen. Aus dem umfangreichen, in sich ganz unterschiedlichen Bestand von Tagebüchern des schließlich weit wirkenden Lutheraners wird hier erstmals ein Beispiel publiziert - ein markantes Beispiel. Das Dokument verbindet Selbstreflexion und Rechenschaftsablage über sein Leben als Student in Berlin. Ersteres lässt in hohem Maße die Suche nach Einwurzelung im christlichen Glauben erkennen. Erschwert wird dies durch ein massives Sünden- und Unvollkommenheitsbewusstsein. Penibel ist die Rechenschaftsablage über seine Studien- und Tagesgestaltung sowie seinen Umgang mit ihm meist schon bekannten fränkischen Kommilitonen. Kaum geschwächt werden aber Zweifel daran, ob sein Leben göttlichen Normen genüge. Den intensiven Besuchen von Vorlesungen und Predigten entspricht nicht eine ebensolche Teilhabe an städtischem Leben. Im weiteren Sinn liegt der religiöse Text noch am Anfang eines weiten Weges Löhes von erwecktem Christentum hin zu konfessionellem Luthertum. Das hohe Maß an Selbstreflexion zeigt - so eine Stimme der Löhe-Forschung - schon die Stärke des späteren Seelsorgers: eine durch früh geübte Selbstbeobachtung gewonnene Fähigkeit des eindringenden Beobachtens von Seelsorgeklienten. Der Text empfiehlt sich auch eingehender religionspsychologischer Deutung. Die Ausgabe von Löhes Berliner Tagebuch von 1828 stand vor massiven Schwierigkeiten der Texterstellung, Sacherläuterung und Bündelung zahlreicher Einzeldaten. Innerhalb des Gesamtbestandes von Löhes einschlägiger Hinterlassenschaft wird sich nicht leicht ein vergleichbares Beispiel finden.weiterlesen