Zwickau um 1880
Stadtarchiv Zwickau
Produktform: Buch
Die vorliegende Einführung zu diesem Bildband kann keine tiefgründige Übersicht der Entwicklung Zwickaus um 1880
liefern. Vielmehr sollen wichtige Daten aus dieser Zeit des Aufbruchs genannt werden, welche den Bezug zu den abgelichteten
Gebäuden und Örtlichkeiten herstellen.
Die im Januar 1871 erfolgte Gründung des Deutschen Reiches samt seiner Verfassung, wirkte sich zwangsläufig auf
die Entwicklung Zwickaus aus. Im Hinblick auf die Verwaltungsebene war aber weiterhin die sächsische Administration
maßgebend. Die bereits in den 1830er Jahren erfolgten Reformen zur Neugliederung des Königreiches Sachsen führten
letztlich dazu, dass die Muldestadt zu einem staatlichen Behördenzentrum in Westsachsen wurde. Die Reorganisation der
unteren Verwaltungsstruktur war 1874 abgeschlossen. Die geschaffene Kreishauptmannschaft Zwickau übernahm die
Aufsicht über die ihr unterstellten Amtshauptmannschaften im westsächsischen Raum bis nach Chemnitz. Für die Amtshauptmannschaft
Zwickau wurde auf der Mittelstraße (heute: Robert-Müller-Straße) gar ein neues Gebäude errichtet,
das 1892 bezogen wurde.
Eine deutliche Veränderung für die Menschen brachte die am 24. April 1873 erlassene „Revidierte Städteordnung”. Diese
gestand jedem Einwohner nach drei Jahren Ansässigkeit in Zwickau das Bürgerrecht zu. Mit dem „Reichsgesetz über die
Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung” wurden ab dem 1. Januar 1876 die Standesämter eingeführt.
Geburten, Hochzeiten und Todesfälle wurden nun nicht mehr von den kirchlichen Einrichtungen registriert, sondern von
Verwaltungsbeamten.
Eine weitere Neuerung im Bereich der nationalen Verwaltung war 1876 die Übernahme des bis dahin selbstständigen
Telegrafenamtes durch die Reichspost. Um 1883 wurde für das Reichspostamt an der Humboldtstraße ein neues Gebäude
errichtet, welches außerdem einen Hauptakteur der Entwicklung moderner Kommunikation beherbergte: das
Fernsprechamt. Zur Repräsentation der staatlichen Rechtsprechung wurde in unmittelbarer Nähe nach drei Jahren Bauzeit
1879 das Königliche Landgericht eingeweiht. Trotz der Neugliederung des kaiserlichen Heeres konnte sich Zwickau
weiterhin als Garnisonsstadt bezeichnen, da das neu gebildete Königlich-Sächsische 9. Infanterie-Regiment Nr. 133 seit
April 1881 dauerhaft in der Stadt stationiert wurde. Mitte des Jahres 1885 bezog es die neue Kaserne an der Werdauer
Straße, das heutige Verwaltungszentrum.
Der bereits in den 1850er Jahren beginnende wirtschaftliche Aufschwung Zwickaus wurde unter anderem durch das Gewerbegesetz
vom 15. Oktober 1861 unterstützt. Aufgrund der nunmehrigen Zugehörigkeit Zwickaus zur Handelskammer
Plauen, erlebte vor allem die Leicht- und Konsumgüterindustrie seit Anfang der 1880er Jahre ihren Aufstieg. Zu erwähnen
sei hier als Beispiel die Zwickauer Porzellanfabrik von 1885. Trotz alledem stellte der Steinkohlenbergbau weiterhin einen
enormen Wirtschaftsfaktor der Stadt dar. 1871 förderten die Steinkohlenwerke des Zwickauer Reviers erstmals über zwei
Millionen Tonnen Steinkohle. Mit der Vergrößerung der Stadt und vermehrten Nutzung der Verkehrswege, wurden für
den schnelleren Transport der Steinkohle von den Schächten zum Zwickauer Hauptbahnhof Industrie- bzw. Kohlenbahnen
in Betrieb genommen. 1872 wurde daher wegen der Ausweitung der Koksproduktion am Brückenbergschacht I die
Brückenbergkohlenbahn angelegt. Bis 1892 erfolgten auf dieser Verbindung weitere Gleisanschlüsse mehrerer Schächte.
Die Ausweitung moderner Transportwege wurde im Zeitraum 1872-75 mit der Eisenbahnstrecke Zwickau-Lengenfeld-
Falkenstein realisiert. Zwei Jahre später folgte, knapp einen Kilometer südwestlich vom Hauptbahnhof gelegen, die
Errichtung des Lengenfelder Bahnhofs, der in den Folgejahren zum Werkstättenbahnhof, dem Vorläufer des Reichsbahnausbesserungswerkes,
umgebaut wurde. Durch dieses für damalige Verhältnisse weitverzweigte Schienennetz konnte
sich Zwickau zeitweise rühmen, einen der verkehrsreichsten Bahnhöfe Deutschlands zu besitzen.
In der Innenstadt wurde das hiesige Gewerbe von kleinen und mittelständischen Unternehmen dominiert. Unternehmensgründungen
in den 1870er Jahren waren besonders in den Bereichen der Bergbaunachfolgeindustrie, der chemischen
Industrie und der Metallverarbeitung zu verzeichnen. Diese Niederlassungen siedelten sich vorrangig an den Fernstraßen
in den damaligen Randgebieten der Stadt an. Spätestens ab 1874 war eine zunehmende Industriebebauung im Bereich
der Lindenstraße (heute: Uhdestraße) zu verzeichnen. Außerdem sei hier die Maschinen- und Grubenlampenfabrik Friemann
& Wolf an der Reichenbacher Straße zu erwähnen. Diese produzierte seit 1881 Grubenlampen für den Bergbau.
Das Zentrum Zwickaus hingegen entwickelte sich zunehmend zur Stätte von Handel und Verwaltung. Kaufhäuser wurden
gegründet, das Gastgewerbe erhielt Auftrieb. Dafür mussten allerdings Handwerkerbetriebe und das Dienstleistungsgewerbe
das Feld räumen.
Infolge der voranschreitenden Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts verzeichnete Zwickau einen enormen Bevölkerungszuwachs.
Waren es um 1855 noch knapp 16.000 Einwohner, beherbergte die Stadt im Jahr der Reichsgründung
bereits über 27.300 Bewohner. Der Überschuss an Zugezogenen sowie eine hohe Geburtenrate ließ die Zahl 1880 auf
ca. 35.000 und im Jahr 1890 auf annähernd 44.200 Menschen steigen. All das noch vor der ersten Eingemeindung von
Pölbitz im Jahr 1895.
Der Platzbedarf machte es nunmehr nötig, größere Flächen außerhalb des alten Stadtringes „auf der grünen Wiese” zu
erschließen. Infolge des Ausbaues des Eisenbahnnetzes entstand als neue Mischform zwischen Wohn- und Industriegebiet
die Bahnhofsvorstadt. Der Süden wurde alsbald in Richtung Schedewitz besiedelt. Hier entstanden vornehmlich mehrstöckige
Wohn- und Geschäftshäuser, aber auch Villen. Parallel dazu begannen Investoren die damals noch vorrangig
aus Gärten und Freiflächen bestehende gegenwärtige Innenstadt Nord bzw. Nordvorstadt, ausgehend vom Wagenplatz
(heute: Schumannplatz), zu bebauen. Als Beispiel sei hier die Römerstraße genannt, die zum ersten Mal in der Ausgabe
des Adressbuches der Stadt Zwickau von 1871 erwähnt wird. Sowohl die östliche Altstadt als auch die umliegenden Gemeinden
wie Schedewitz oder Oberhohndorf entwickelten sich zu zentralen Wohngebieten der rasant wachsenden Arbeiterschicht.
Aufgrund der Zunahme des Wohnungsbaues verfügte der Rat der Stadt im Juli 1875 die Einführung des heute
noch gültigen Systems der Hausnummerierung. Ein Jahr zuvor hatte er zur professionelleren Eindämmung von Notfällen
eine „besoldete Nachtwache”, d. h. Berufsfeuerwehr, ins Leben gerufen, welche von der weiterhin existierenden Freiwilligen
Feuerwehr unterstützt wurde. Die Urbanisierung führte schließlich dazu, dass im September 1878 Schießübungen
auf dem Schießanger (heute: Platz der Völkerfreundschaft; Rosenwiese) nicht mehr durchgeführt werden konnten. Aufgrund
dieser Baugeschichte ist Zwickaus Innenstadt so stark geprägt von Bauten im „Gründerzeitstil”.
Die zunehmende Nachfrage nach Pferdedroschken, aufgrund der längeren Wege der Menschen zu ihren Arbeitsstätten
oder den Verwaltungsinstanzen, ließ deren Kapazität schnell an ihre Grenzen stoßen. Die Geschicke der Stadt lenkte seit
seiner Amtseinführung 1860, bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1898, der Bürgermeister Lothar Streit. Infolge des neuen
Ortsstatuts von 1874 erhielt er nunmehr den Titel eines Oberbürgermeisters. Er und der Rat der Stadt bemühten sich
seit 1880 um die Errichtung einer Pferde- bzw. elektrischen Straßenbahn. Die Zukunftsfähigkeit der Straßenbahn setzte
sich schließlich durch. Der Schuckert & Co. KG aus Nürnberg, unterstützt durch die Bank L. Arnoldi aus Mainz, wurde im
Dezember 1892 genehmigt, eine Straßenbahnlinie zwischen dem Hauptbahnhof, der Innenstadt und den südlichen Vororten
auf eigene Kosten zu errichten. Dies erfolgte unter der Maßgabe des Aufbaues eines Kraftwerkes, welches auch die
Zwickauer Bürger mit Strom versorgen sollte. Bereits Ende 1893 lieferte das Elektrizitätswerk samt Straßenbahndepot
an der Ecke Werdauer Straße/Stiftsstraße die Energie, mit der die ersten modernen Straßenlampen der Stadt gespeist
wurden. Die bisherigen Gaslaternen wurden sukzessive abgeschafft. Die Straßenbahn wiederum nahm am 6. Mai 1894
ihren Betrieb auf.
Mit der Zunahme der Bevölkerung stieg auch die Anzahl der schulpflichtigen Kinder. Anfang der 1890er Jahre waren es
an die 7.000 Schüler. Zwickau als Kommune war in der Pflicht, genügend Schulräume zur Verfügung zu stellen und diese
zu unterhalten. Im Zeitraum von 1870 bis 1892 wurden daher zusätzlich drei Bürgerschulen, eine Realschule und eine
Höhere Knaben- und Mädchenschule gebaut. Die fortschreitende Arbeitsteilung und Spezialisierung an den industriellen
Arbeitsplätzen machte eine an die Bedürfnisse angepasste Ausbildung notwendig. Die staatlichen Fortbildungsschulen
wurden ins Leben gerufen.
Diese Gesamtentwicklung stellte die hiesige Kommunalpolitik vor neue Herausforderungen. Neben der Schaffung von
Wohnraum, dem Ausbau der Verkehrswege und Bildungseinrichtungen, waren die Hauptanliegen Sozial- und Gesundheitswesen
sowie die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung. Letztere konnte nicht mehr durch die Hausbrunnen gedeckt
werden. Deswegen wurden zwecks Zulieferung von größeren Wassermengen aus der Umgebung je eine Wasserleitung
1872 von Stenn und 1874 von Weißenborn ausgehend nach Zwickau gebaut. Die 1882 erfolgte Inbetriebnahme eines
großen Wasserspeichers auf der Lichtentanner Höhe unterstützte das Vorhaben. Die wohl wichtigste Versorgungsleitung
für das städtische Trinkwasser war die zwischen 1888 und 1890 errichtete Verbindung aus Wiesenburg. Die Einwohner,
deren Häuser nicht an das öffentliche Wassernetz angeschlossen waren, konnten an öffentlichen Druckständern Wasser
beziehen. Das Abwasser hingegen wurde größtenteils in Gruben gesammelt, die in regelmäßigen Abständen gegen Bezahlung
geleert wurden. Die Tonrohre der Häuser mit Abwasseranschluss stammten aus der Tonwarenfabrik Fikentscher.
Industrialisierung und steigende Bevölkerungszahl führten nicht nur zum Wohlstand, sondern ließen gleichzeitig die untere
Gesellschaftsschicht wachsen. Infolge des „Gründerkrachs” 1873 und der anschließenden „Gründerkrise”, verdoppelte
sich der Anteil der Almosenempfänger zwischen 1875 und 1880 auf ca. 1,2 % der Bevölkerung. Die Stadt versuchte
mit Notstandsarbeiten die Zahl der Arbeitslosen niedrig zu halten und stellte zur Aufrechterhaltung der gesundheitlichen
Grundversorgung weitere Armenärzte an. Außerdem betrieb sie unter anderem ein Waisenhaus und ein Siechenhaus für
Alte. Der steigende Anteil der Arbeiter im industriellen Sektor sorgte außerdem dafür, dass wegen zunehmender gesundheitlicher
Beeinträchtigungen die medizinische Infrastruktur bald an ihre Grenzen geriet. Daher standen Maßnahmen zur
Regeneration der Arbeitskraft und Gesunderhaltung der Einwohner im Blickpunkt. Das Stadtkrankenhaus am Schlobigplatz,
gegründet 1850, erhielt in den 1880er Jahren, nach Jahren der Sparpolitik, die notwendigen finanziellen Mittel,
um die Bettenzahl zu erhöhen und qualitativ mit dem Königlichen Krankenstift an der Stiftstraße mithalten zu können.
Zudem machte der Rückgang der Hausgärten als Naherholungsgebiete die Anlegung öffentlicher Parkanlagen notwendig.
Bis 1875 wurde nach den Plänen des renommierten Garteninspektors Eduard Petzold das Terrain am Schwanenteich
umgestaltet. Der Schwanenteichpark war damit der erste „Volksgarten” Zwickaus, dessen Nutzung zur Erholung die
Grundlage für weitere Neugestaltungen im Stadtgebiet in den folgenden Jahrzehnten lieferte.
Mit dem Aufschwung Zwickaus erlebte auch das öffentlich gesellschaftliche Leben seinen Auftrieb. Entsprechend der zunehmenden
Rolle als Industriestadt, fand von Ende Juni bis Ende Juli 1877 eine Gewerbe- und Industrieausstellung mit
über 35.000 Besuchern statt. Eine weitere große landwirtschaftliche Landesausstellung richtete die Stadt im September
1882 unter Teilnahme von König Albert aus. Die Bürger gründeten vermehrt Vereine, wie etwa den Kunstverein, welcher
1878 am Marienkirchhof (heute: Domhof) sein Ausstellungsgebäude errichtete. Das Ziel der Aufarbeitung der Stadtgeschichte
hatte sich ab 1885 der Zwickauer Altertumsverein gesetzt, welcher unter Nutzung der wertvollen und einzigartigen
Quellen des Stadtarchives seit 1887 die „Mitteilungen des Altertumsvereins für Zwickau und Umgegend” herausgab.
Ein in den 1880er Jahren gegründeter städtischer Theaterausschuss nahm nunmehr Einfluss auf die Theaterspielstätten.
Musik- und Tanzveranstaltungen in den zahlreichen Gaststätten nahmen zu.
Wie sich Zwickaus prosperierende Wirtschaft und Stellung um 1880 architektonisch manifestierte, mögen nunmehr die
historischen Fotos eindrucksvoll belegen.weiterlesen