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Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)


ZWISCHEN DAUERHAFTIGKEIT UND UTOPIE Venedig schöpft sein Wesen aus seiner Beziehung zum Wasser. Doch diese Beziehung ist nicht konfliktfrei. Die Stadt hat es einer jahrhundertealten Geschichte der technischen Entwicklung und Projektierung zu verdanken, dass die fragile, manchmal auch feindselige und ungesunde Umwelt der Lagune von Venedig heute bewohnbar ist.1 Dabei musste ihr Streben nach wirtschaftlicher Entwicklung immer wieder mit Fragen des Umweltschutzes in Einklang gebracht werden. Die Lagune von Venedig befindet sich in einer fortwährenden Auseinandersetzung mit ihrer unbeständigen geografischen Beschaffenheit, auf Dauer dazu verurteilt, entweder im Meer zu verschwinden oder zu verlanden und eine Erweiterung des Festlands zu werden. Um dieses Schicksal abzuwenden, haben Menschen seit nunmehr 1.500 Jahren Flussläufe verändert, ganze Landstriche trockengelegt, Wasser gepumpt, Schlamm verfestigt, Deiche, Kanäle, Molen, Dämme und Brücken gebaut. Von ihrem Wesen her in stetiger Veränderung begriffen, stellt die Lagune von Venedig eine unerschöpfliche Aufgabe der Instandhaltung dar: von den großen Anstrengungen der Ingenieursbaukunst der Republik bis zu den vielen kleinen Eingriffen der Fischer*innen, Müller*innen und Landwirt*innen, die seit Jahrhunderten die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen.2 Der Mythos der Natürlichkeit der Lagune hat viele gegensätzliche Vorstellungen von der territorialen Entwicklung der Republik Venedig hervorgebracht. Paradigmatisch dafür steht ein intellektueller Disput im 16. Jahrhundert zwischen dem berühmten Chefingenieur der venezianischen Wasserbehörde Magistrato alle Acque, Cristoforo Sabbadino, und dem wohlhabenden Großgrundbesitzer Alvise Cornaro.3 Sabbadino betrachtete Technologie als eine bewahrende Kraft, ein Werkzeug, um das hydrologische Gleichgewicht in der Lagune zu erhalten. Zu diesem Zweck ersann er Wasserbauprojekte spektakulären Ausmaßes auf dem Festland und sprach sich vehement dafür aus, den Lauf ganzer Flüsse zu verändern, um zu verhindern, dass sich Sedimente ansammeln, die zur Verlandung der Lagune führen könnten. Für Sabbadino war die Lagune Venedigs wichtigste Verteidigungsmauer – und je „unfertiger“ sie erschien, desto sicherer war sie in seinen Augen.4 Der Adlige Cornaro hingegen betrachtete Technologie als eine Kraft der Veränderung. Auf dem Anwesen seiner Familie bei Chioggia am südlichen Ende der Lagune experimentierte er mit Techniken der Landgewinnung, wofür er ohne Genehmigung Deiche anlegte, die später auf Anordnung des Magistrato alle Acque zerstört wurden. In seinem sturen Kampf für die Erhaltung dieser Deiche entwickelte Cornaro allmählich eine utopische Vision einer neuen, verwandelten Lagune mit einem schwimmenden Theater und einem künstlich geschaffenen Berg (vago monticello), der auf neu gewonnenem Land in der Mitte des Markusbeckens direkt gegenüber dem Dogenpalast errichtet werden sollte.5 Cornaros visionäre Idee lehnte sich an überlieferte Darstellungen einer anderen Lagunenstadt aus dem 16. Jahrhundert an: Tenochtitlán, die Hauptstadt des Aztekenreichs, deren beeindruckende Gestalt im 1528 vom venezianischen Kartografen Benedetto Bordone veröffentlichten Inselatlas Isolario abgebildet war.6 Tenochtitlán wurde inmitten des alten Texcoco-Sees errichtet, der später von den spanischen Kolonisatoren trocken­gelegt wurde, um Platz für Mexiko-Stadt zu schaffen. Ähnlich wie in Tenochtitlán und im Gegensatz zu Sabbadinos behutsamem Ansatz im Umgang mit der Lagune schlug Cornaro vor, letztere vollständig mit einem Deich zu umfassen, um das Land klar vom Wasser zu scheiden und lediglich eine der Mündungen offenzulassen, die die Lagune mit dem adriatischen Meer verbindet. Die vom umgebenden Wasser fast gänzlich „abgetrennte“ Lagune wäre – ein in sich geschlossenes Ökosystem – in Cornaros Vorstellung nicht nur gesünder, wohlhabender und besser geschützt, sondern auch schöner.7 Die mögliche Auswirkung ­seiner Vision auf die Beziehung zwischen ­Venedig und dem umgebenden Wasser zeigt sich am deutlichsten in Cornaros Verwendung eines neuen Ausdrucks, der durch Bordones Karte beeinflusst sein dürfte: die Lagune als „heiliger See“.8 Den meisten Venezianer*innen wäre jedoch instinktiv bewusst, dass solch eine Vision der engen ontologischen Beziehung zwischen der Stadt und ihrer Lagune zuwiderlaufen würde; nicht zuletzt, weil Venedig bis heute kein modernes Abwassersystem besitzt. Der Abtransport der Abwässer hängt immer noch stark davon ab, ob das Brackwasser in seinem täglichen Anstieg die gatoli (Abwassersystem aus gemauerten Hohlräumen und Rückhalte­becken unterhalb der Gehsteige) erreicht, um so das Abwasser zuerst in die Kanäle und dann weiter hinaus ins offene Meer zu spülen. ZWISCHEN FIXIERUNG UND TRANSFORMATION Sabbadinos und Cornaros gegensätzliche Visionen sind Ausdruck eines epochalen Wandels im kollektiven Verständnis von Venedig. Bis ins 14. Jahrhundert hinein war das städtische Wachstum Venedigs durch Zyklen der Land­gewinnung geprägt, bei denen die Grenzen der Stadt immer noch als dynamisch, provisorisch und instabil angesehen wurden. Erst zwischen 1530 und 1550 wurde dieser Ansatz infrage gestellt, auch durch die breitere Popularisierung von Bordones einflussreicher Darstellung der Stadt inmitten einer idealisierten, perfekt ovalen Lagune.9 Angefacht durch diese ikonografische Wende setzte sich im 16. Jahrhundert die Idee durch, die Beziehung zwischen der bebauten Fläche und dem Wasser dauerhaft zu fixieren. 1557 konzipierte Sabbadino ein umfassendes Programm zur Erweiterung und Festlegung der Grenzen der Stadt, im Rahmen dessen Stadterneuerungsmaßnahmen wie der Bau der nördlichen Uferbefestigung, der Fondamenta Nuove, in Gang gesetzt wurden. Zu dieser Zeit orientierte sich die Republik Venedig immer weniger Richtung Meer. Hintergrund dieser Entwicklung war der fortschreitende Bedeutungsverlust Venedigs als Seemacht durch die Erschließung neuer Handelsrouten am Ende des 15. Jahrhunderts, etwa die „Entdeckung“ Amerikas 1492 oder des Seewegs nach Indien durch Vasco da Gama 1498, und der damit verbundene Aufstieg neuer maritimer Mächte in Europa. Auf der Suche nach einem neuen politischen und ökonomischen Gleichgewicht richtete die Stadt ihre Aufmerksamkeit zunehmend auf das Festland.10 Nach vielen großen wasserbaulichen Eingriffen, die im 17. Jahrhundert ausgeführt wurden – und von denen Sabbadino viele bereits vorgeschlagen hatte –, wähnte man die Lagune in Sicherheit vor den Sedimenten, die einst direkt von den Flüssen angespült wurden. Fortan begegnete die venezianische Regierung jedem Vorstoß einer räumlichen Erweiterung der Stadt mit einer konservativen Haltung, die darauf abzielte, jedwede mögliche Änderung am bestehenden Wasser- und Abwassersystem einzugrenzen. Die Magistrate der Republik befassten sich nunmehr weitgehend mit „einfachen“ technischen Instandhaltungsmaßnahmen. Diese Entwicklung gipfelte in der Festsetzung der Conterminazione Lagunare im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, welche die territorialen Grenzen der Lagune nach außen klar definierte und mit Grenzsteinen bis heute sichtbar markiert. Der definierte Bereich unterlag fortan der Zuständigkeit und administrativen Verwaltung des Magistrato alle Acque, innerhalb dessen die strengen Bestimmungen und Vorschriften zum Schutz der Lagune galten.11 Die administrative Konstruktion einer dauerhaften Stadtgrenze hatte zur Folge, dass von nun an alle planerischen Eingriffe in Venedig nur noch dem Zweck der Erhaltung, Verbesserung oder Anpassung dienen durften.12 Wir können nur spekulieren, wie sich die Magistrate verhalten hätten, wäre die Republik Venedig nicht 1797 in Napoleons Hände gefallen. Es ist allerdings klar, dass die unzulängliche Instandhaltung und der damit verbundene langsame Verfall der Lagune Ende des 18. Jahrhunderts unter französischer und später österreichischer Herrschaft einsetzten, die schlicht nicht über das Umweltbewusstsein und die technische Kultur verfügten, die venezianische Wasserbauingenieure über Jahrhunderte entwickelt hatten. Der tausend Jahre währende Inselstatus Venedigs wurde von den Österreichern 1846 mit der Einweihung der Eisenbahnbrücke über die Lagune abrupt beendet. Auch nach der Annexion Venedigs durch das Königreich Italien im Jahr 1866 verbesserte sich die Situation nicht wesentlich. So wurden unter italienischer Herrschaft viele Kanäle aufgefüllt und große Teile der Stadt abgerissen. Immer deutlicher wurde auch, dass die dauerhafte Notlage in der Wasserversorgung, welche eine Folge der jahrzehntelangen schlechten Instandhaltung der traditionell genutzten Regenwasserzisternen war, angegangen werden musste. 1884 wurde schließlich ein neues Aquädukt eingeweiht, welches nicht nur den jahrhundertealten Durst Venedigs nach Frischwasser löschte, sondern auch die Karriere des eigenwilligen Chefingenieurs der Stadt, Giuseppe Bianco, beendete. Er hatte zwischen 1857 und 1858 die ehrgeizige Unternehmung betrieben, eine detaillierte Erhebung von tausenden privaten und öffentlichen Regenwasserzisternen vorzunehmen. Es heißt, die Vorstellung des Aquädukts und das zeitgleiche Aufgeben der Zisternen hätten die psychische Erkrankung von Bianco so stark verschlimmert, dass er in die psychiatrische Anstalt auf der Insel San Servolo eingeliefert werden musste.13 Die Anekdote liest sich wie eine Warnung, dass jede große Innovation in Venedig unweigerlich der Eigenart und unvergleichlichen Struktur der Stadt Rechnung tragen muss. Heute übernimmt das städtische Unternehmen Insula S.p.A. – zu deren Gründungspartnern die Gemeinde Venedig und deren Versorgungsunternehmen gehören – die Instandhaltung der Stadt in einem umfassenderen Sinn: vom öffentlichen Wohnungsbau über die städtische Mobilitätsinfrastruktur bis hin zur Wartung der Kanäle.14 ZWISCHEN DESASTER UND GESETZGEBUNG Als die norditalienische Industrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Blütezeit erlebte, durchlief das venezianische Festland weitere einschneidende Veränderungen, darunter riesige neue Projekte der Landgewinnung, bei denen sich Cristoforo Sabbadino sicher im Grabe umgedreht hätte. 1920 begannen die Arbeiten für die Errichtung eines ersten Industriegebiets, dessen ursprünglicher Kern heute als Porto Marghera bekannt ist und später mit der Erschließung eines zweiten Industriegebiets erweitert wurde. 1924 wurden 2.300 Hektar der Lagune für die landwirtschaftliche Nutzung aufgefüllt und 1933 eine Autobrücke parallel zur Eisenbahnbrücke eröffnet. Zwischen 1961 und 1969 wurde der Malamocco-Marghera-Kanal, auch unter dem Spitznamen Canale dei Petroli (Erdölkanal) bekannt, in der flachen Lagune ausgehoben, damit große Öltanker von der Mündung des Hafens von Malamocco die Raffinerien im Hafen von Marghera erreichen konnten. Mit dem Aushub wurden zwei künstliche Inseln aufgeschüttet, die für ein weiteres Industriegebiet bestimmt waren, welches jedoch infolge der Ölkrise von 1973 nie realisiert wurde. Die boomende Tourismusindustrie spielte eine wichtige Rolle in diesem neuen Prozess der Landgewinnung: Von 1960 an wurde ein großes Gebiet mit Salzmarschen am nördlichen Ende der Lagune aufgefüllt, um Platz für den nach Marco Polo benannten internationalen Flughafen zu schaffen. Auch das historisch empfindliche Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Lagune als Ökosystem und der traditionellen extensiven Aquakultur – die beide auf die natürliche Migration von Fischen durch die Lagune angewiesen sind – ist durch die wachsende Fischzucht aufgrund der hohen touristischen Nachfrage stark beeinträchtigt worden. (Heute schirmen rund 100 Quadratkilometer geschlossener Rückhaltebecken zur Fischzucht mehr als ein Sechstel der Gesamtfläche der Lagune ab.) Eine Umweltkatastrophe markiert Mitte der 1960er-Jahre das jähe Ende dieser Phase der Transformation mit ihren infrastrukturellen Großprojekten: In der großen Flut von Venedig 1966 versank die Stadt knapp 2 Meter unter Wasser und musste sich ihres desolaten Zustands bitter bewusst werden. Dieses tragische Ereignis löste eine heftige politische und soziale Debatte über eine ganze Reihe von Anliegen aus, die nicht nur die Altstadt, sondern den gesamten Ballungsraum betrafen. Dazu gehörten der Bevölkerungsrückgang in der historischen Altstadt, die fehlende Instandhaltung der Murazzi – der alten Befestigungsanlagen zur Seeverteidigung –, die zunehmende Vernachlässigung und Aufgabe kleinerer Inseln und das rücksichtslose Ausheben immer tieferer Kanäle, um die Durchfahrt größerer Schiffe zu ermöglichen. All diese Faktoren führten zu der weit verbreiteten Überzeugung, dass ein spezieller gesetzlicher Schutz der Umwelt und der Sozialstruktur der Stadt notwendig sei. Ironischerweise wurde drei Jahre vor der großen Flut mit den Nuove norme relative alle lagune di Venezia e Marano-Grado [dt. Neue Vorschriften in Bezug auf die Lagunen von Venedig und Marano-Grado] bereits ein solches Gesetz beschlossen, das jedoch nie umgesetzt wurde.15 Erst 1973 hob das Sondergesetz Interventi per la salvaguardia di Venezia [dt. Eingriffe zum Schutze Venedigs] die herausragende Bedeutung der Stadt Venedig für das nationale öffentliche Interesse hervor und räumte dem italienischen Staat Sonderrechte ein mit Bezug auf den Schutz des Ökosystems der Lagune sowie der Regulierung der Wasserwege und Gezeiten.16 1984 wurde mit dem Nuovi interventi per la salvaguardia di Venezia [dt. Neue Eingriffe zum Schutze Venedigs] ein weiteres Sondergesetz verabschiedet, das die staatliche Planung, Erprobung und Ausführung groß angelegter Instandsetzungsarbeiten zur Erhaltung der Lagune, zur Abwendung des weiteren Zerfallsprozesses und zum Schutz der Siedlungen vor Hochwasser festschrieb.17 Es wurde eine Vereinbarung unterzeichnet, die eine umstrittene Monopolkonzession an das Consorzio Venezia Nuova, ein Konsortium aus 26 Firmen aus dem Bereich des Wasserbaus und des Bauingenieurswesens, erteilte, die ihm wesentliche Planungs-, Steuerungs- und Entscheidungsbefugnisse überantwortete. Dadurch wurde der Magistrato alle Acque, der über Jahrhunderte eine machtvolle planerische und exekutive Instanz war, zu einem administrativen Dienstleister des Konsortiums degradiert. Ein drittes Sondergesetz von 1992 steckte schließlich den rechtlichen Rahmen für Infrastrukturmaßnahmen zur stärkeren Kontrolle der drei Öffnungen der Lagune ins adriatische Meer bei Lido, Malamocco und Chioggia ab, um massiven Überschwemmungen der Lagunenstadt in Zukunft vorzubeugen.18 In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde das Großprojekt MOSE [Module Sperimentale Elettromeccanico, dt. Experimentelles Elektro-mechanisches Modul] vorangetrieben – ein äußerst kontroverses technisches Vorhaben, das die historische Altstadt mithilfe beweglicher Flutbarrieren an den Mündungen vor Hochwasser schützen soll. Das Sperrwerk, das nur im Falle von Sturmfluten mit einer Hochwassermarke von über 1,10 Meter (acqua alta) zum Einsatz kommt, unterbricht jedoch nicht die Gezeitenströmung in der Lagune, um das Funktionieren des empfindlichen Ökosystems sowie auch das spezielle Abwassersystem der Stadt zu erhalten. Obwohl noch nicht vollständig fertiggestellt, ist MOSE bereits einsatzfähig und hat gezeigt, dass es Venedig erfolgreich vor Hochwasser schützen kann. Sein Erfolg ging allerdings erneut zu Lasten der jahrhundertealten Institution des Magistrato alle Acque, der 2014 infolge mehrerer Korruptions- und Veruntreuungsskandale, an denen mächtige Repräsentant*innen des Komitees und auch der regionalen und nationalen Regierung beteiligt waren, aufgelöst wurde. EPILOG Vor dem Bau des Aquädukts reichte das Regenwasser oft nicht aus, um den Trinkwasserbedarf der Stadt zu stillen. Große Tankschiffe, burchi genannt, mussten zum Festland geschickt werden, um Süßwasser zu laden und nach Venedig zu bringen. Nicht die Frischwasserversorgung, sondern die Abwasserentsorgung stellt heute das Problem dar: In regelmäßigen Abständen werden Klärschiffe gerufen, um Tanks, Sickergruben und Abflussrohre zu reinigen. Der Einsatz von Klärgruben – von denen es schätzungsweise lediglich rund 7.000 in der Stadt gibt – hilft Venedig dabei, die Umweltschäden einzudämmen, die durch das Fehlen eines modernen Abwassersystems auftreten. Aber seit MOSE 2021 den Regelbetrieb aufgenommen hat, kann man sich mit ein bisschen Fantasie ein Szenario vorstellen, in dem nach dem globalen Anstieg des Meeresspiegels die Flutbarrieren immer öfter und länger geschlossen werden müssen – bis sie eines Tages endgültig zu bleiben. Dann würde ­Cornaros utopische Vision wahr und Venedig in ein modernes Tenochtitlán verwandelt werden.19 Dieses tragische Szenario würde Venedig jedoch wortwörtlich zu einer Kloake machen. So wie bei der Realisierung des Aquädukts vor 150 Jahren hätte die öffentliche Verwaltung dann keine andere Wahl, als die gigantische Aufgabe anzugehen, Venedig endlich mit einem modernen Abwassersystem auszustatten. Dieses Unterfangen würde die gelben Schleusentore von MOSE – die fortan die Adria permanent vom „heiligen See“ Venedigs abtrennen würden – in den Status eines neuen „ungewollten Denkmals“20 erheben, der Instandhaltung Venedigs und seiner Lagune gewidmet. 1 Vgl. Élisabeth Crouzet-Pavan: „La conquista e l’organizzazione dello spazio urbano“, in: Giorgio Cracco, Gherardo Ortalli (Hg.): Storia di Venezia, Bd. 2: L’età del Comune, Rom 1995, S. 550 2 Vgl. Salvatore Ciriacono: Building on Water – Venice, Holland and the Con­struction of the European Landscape in Early Modern Times, New York 2006, S. 101 3 Vgl. Manfredo Tafuri: Venice and the Renaissance, Cambridge 1995, S. 139–158 4 Vgl. Manfredo Tafuri: „‚Sapienza di stato‘ e ‚atti mancati‘ – architettura e tecnica urbana nella Venezia del’ 500“, in: Lionello Puppi (Hg.): Architettura e Utopia nella Venezia del Cinquecento, Ausst.-Kat. Palazzo Ducale, Venedig, Mailand 1980, S. 32 5 Vgl. ebd., S. 118 6 Vgl. Girolamo Fracastoro: Lettera di Girolamo Fracastoro sulle lagune di Venezia, 
ora per la prima volta pubblicata ed illustrata, Venedig 1815, S. 9 f. 7 Vgl. Alvise Cornaro: „Trattato di acque“ [1566], in: Roberto Cessi (Hg.): Antichi Scrittori d’idraulica Veneta, Bd. 2, Teil 2: Scritture Sopra La Laguna Di Alvise Cornaro e di Cristoforo Sabbadino, Venedig 1941, S. 60–69 8 Vgl. ebd.; siehe auch David Y. Kim: „Uneasy Reflections – Images of Venice and Tenochtitlan in Benedetto Bordone’s ,Isolario‘“, in: RES – Anthropology and ­Aesthetics 49/50 (Frühling/Herbst 2006), S. 80–91, hier S. 88 9 Vgl. André Corboz: „L’immagine di Venezia nella cultura figurativa del’ 500“, 
in: Puppi 1980 (siehe Anm. 4), S. 63 10 Vgl. Salvatore Ciriacono: „Scrittori d’idraulica e politica delle acque“, in: 
Girolamo Arnaldi, Manlio Pastori Stocchi (Hg.): Storia della cultura veneta – Dal primo Quattrocento al Concilio di Trento, Vicenza 1980, S. 192 11 Vgl. Giovanni Caniato: „La conterminazione della laguna di Venezia“, in: 
Emanuele Armani u. a. (Hg.): I cento cippi di conterminazione lagunare, Venedig 1991, S. 11–52 12 Vgl. Ennio Concina: „Venezia, ‚tra due elementi sospesa‘“, in: ‚Tra due 
elementi sospesa‘ – Venezia, Costruzione di un paesaggio urbano, Venedig 2000, S. 46 13 Vgl. Giorgio Gianighian: „Una cisterna interna d’una casa doppia a Venezia (1555)“, in: Silvia Cipriano, Elena Pettenò (Hg.): Archeologia e tecnica dei pozzi per acqua dalla pre-protostoria all’età moderna, Triest 2011, S. 175 14 Insula S.p.A.: Venezia manutenzione urbana – Insula – 10 anni di lavori per la città, Ponzano Veneto 2007 15 Nuove norme relative alle lagune di Venezia e di Marano-Grado [dt. Neue 
Normen in Bezug auf die Lagunen von Venedig und Marano-Grado], L. n. 366/1963 16 Interventi per la salvaguardia di Venezia [dt. Eingriffe zum Schutze Venedigs], L. n. 141/1973 17 Nuovi interventi per la salvaguardia di Venezia [dt. Neue Eingriffe zum Schutze Venedigs], L. n. 798/1984 18 Interventi per la salvaguardia di Venezia e della sua laguna [dt. Eingriffe zum Schutze Venedigs und seiner Lagune], L. n. 139/1992 19 Vgl. Lorenzo Fabian, Ludovico Centis: The Lake of Venice – A Scenario for Venice and its Lagoon, Conegliano 2022 20 Zum Begriff des ungewollten Denkmals vgl. Alois Riegl: Der Moderne Denkmalkultus – Sein Wesen und seine Entstehung, Wien 1903, S. 6

Verlag: Arch+, Auflage 1, 216 Seiten

Erscheinungsdatum: 18.05.2023

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projekt bauhaus: Can Design Change Society?

Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)

Verlag: Arch+, Auflage 1, 240 Seiten

Erscheinungsdatum: 22.07.2019

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Neuer Realismus in der französischen Architektur

Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)


In Frankreich hat sich eine neue Generation von Architekt*innen herausgebildet, die an die rationalistische Diskurstradition anknüpft und diese zugleich mit einer radikalen Einlassung auf die Realitäten des städtischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Kontextes poetisch weiterentwickelt. Darin folgen die Protagonist*innen einerseits lokalen Vorbildern, andererseits lässt sich eine Geistesverwandtschaft mit gegenwärtigen europäischen Architekturentwicklungen wie jene in Flandern nicht leugnen. ARCH+ 240 ist diesen aktuellen Strömungen gewidmet und stellt die junge Szene in Essays, Interviews, Statements und Projektpräsentationen vor.

Verlag: Arch+, Auflage 1, 240 Seiten

Erscheinungsdatum: 01.10.2020

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Datatopia

Projekt Bauhaus 3

Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)

Verlag: Arch+, Auflage 1, 232 Seiten

Erscheinungsdatum: 13.03.2019

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Berlin Praxis

Von Handlungsoptionen und politischer Verantwortung

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Dieses Heft ist die zweite unserer beiden Berlin-Ausgaben, die wir im Nachgang zu unserer Ausstellung 1989–2019: Politik des Raums im Neuen Berlin herausgeben. Wenn man so will, hat die erste Ausgabe von den verlorenen Kämpfen der Vergangenheit gehandelt. Dieses Heft fragt nun danach, wie praktizierende Architekt*innen wieder mehr Handlungsoptionen gewinnen können. Wir behandeln drei zentrale Aspekte, die zu einer neuen Berliner Praxis führen: die Ökonomie des Bauens angesichts des überhitzten Immobilienmarktes, die Entdeckung der Peripherie vor dem Hintergrund der Verknappung von Bauland in der Stadt, und die unter Planungsbüros wie bei der Kritik immer noch ungeliebte und missverstandene Frage der Partizipation.

Verlag: Arch+, Auflage 1, 240 Seiten

Erscheinungsdatum: 05.02.2021

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Contested Modernities

Postkoloniale Architektur und Identitätskonstruktion in Südostasien

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Verlag: Arch+, Auflage 1, 240 Seiten

Erscheinungsdatum: 24.04.2021

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The Property Issue – Politics of Space and Data

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The Property Issue – Politics of Space and Data This publication deals with a fundamental contradiction in contemporary society: the contradiction between the social character of production and the private appropriation of the results of this production. Specifically, it deals with the question of ownership of land and data, and the effects of these ownership relations on the production of space. Who owns the land? This question is of crucial importance for all societies and their coexistence. This is because the availability of land and property controls the production of space and the social order. The fact that land (space) is as vital to life as air and water means that its use should not succumb to the unmistakable play of free (market) forces and individual whims. Who owns data? For urban planning, the issue of data ownership has become just as relevant as land ownership. In this issue we therefore discuss the politics of space and the politics of data, the real and virtual capital of the city of the future. The debate is guided by two main questions: How do we deal with space and data as planning resources? And what role do architects and urban planners play in the digital society? The newly commissioned essay "The City as Enemy" by Hannes Grassegger is a must read for everyone who wants to understand the struggle of the citizens of Hong Kong against the smart city and surveillance technology. Featuring interviews with Christian von Borries, James Bridle, Egbert Dransfeld, Renée Gailhoustet, Ludger Hovestadt, Raquel Rolnik, Patrik Schumacher, Deane Simpson, Douglas Spencer, Hans-Jochen Vogel And contributions by Benjamin H. Bratton, Michaela Friedberg, Hannes Grassegger, Florian Hertweck, Markus Hesse, Niklas Maak, Shannon Mattern, Oksana Mironova, Christopher Roth, Wolfgang Scheppe, Trebor Scholz, Nick Srnicek, Manuel Shvartzberg Carrió, Robert Thum, Milica Topalovic, Harald Trapp, Bianca Wylie, and many more

Verlag: Arch+, Auflage 1, 240 Seiten

Erscheinungsdatum: 02.06.2020

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Europa – Infrastrukturen der Externalisierung

Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)


Seit Europa in der Neuzeit begann, die Welt zum eigenen Nutzen zu erschließen und auszubeuten, setzte es seine Interessen mithilfe von Infrastrukturmaßnahmen durch. Die negativen Folgen seines wirtschaftlichen Handels lagerte es aus – zuvorderst nach Afrika. Der Mythos vom Friedensprojekt eines postkolonialen Europa muss kritisch hinterfragt werden, um das immer noch herrschende Machtgefälle, den Paternalismus und die Ungleichheit zu überwinden. Diese Ausgabe handelt vom strukturellen Rassismus Europas als Raumpolitik: vom infrastrukturellen Rassismus.

Verlag: Arch+, Auflage 1, 240 Seiten

Erscheinungsdatum: 01.07.2020

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Berlin Theorie

Politik des Raums im Neuen Berlin

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Der Zusammenhang von Identität und Ökonomie wurde im Berlindiskurs bisher viel zu wenig beleuchtet. Dieses Heft legt offen, dass der Berlinische Neohistorismus, die Fassadendiskussion, die Kritische Rekonstruktion und später der Diskurs über die Kreative Stadt neben den identitätspolitischen Zielen nach der Wiedervereinigung maßgeblich der Durchsetzung einer Ökonomie der Stadt dienten, die auf Privatisierung basiert. Geschichte und Kreativität wurden in diesem Prozess zu Marketinginstrumenten der Immobilienbranche im globalen Standortwettbewerb. Die Auswirkungen dieser reaktionären Projektion setzen Berlin heute sozialräumlich unter Spannung.

Verlag: Arch+, Auflage 1, 240 Seiten

Erscheinungsdatum: 15.12.2020

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Vorlesungen zur Geschichte der Neuen Architektur

Band 1 und 2

Produktform: Buch / Einband - flex.(Paperback)

Verlag: Arch+, 600 Seiten

Erscheinungsdatum: 31.08.2013

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