Der Staat Israel− eine Tragödie
Versuch zur Lösung eines unlösbaren Konflikts
Produktform: Buch / Einband - fest (Hardcover)
Mirko Wittwar
Der Staat Israel− eine Tragödie
Versuch zur Lösung eines unlösbaren Konflikts
310 Seiten. DIN A5. Hardcover. ISBN 978-3-944101-09-5
Preis: 24,80 Euro. Rhombos-Verlag, Berlin 2013
Der Friedensprozess zwischen Israel und den Repräsentanten des palästinensischen Volkes ist zu einem völligen Stillstand gekommen. Das Scheitern sämtlicher Bemühungen um eine Wiederbelebung des Oslo-Prozesses beweist, dass man bisher von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist, dass die Natur des Palästina-Konflikts nicht verstanden wurde. Wenn man jedoch den tatsächlichen Kern des beinahe hundertjährigen Krieges zwischen Israel beziehungsweise dem Zionismus und den Palästinensern erfasst, erscheint eine Lösung nach wie vor möglich. Angesichts der schweren Wunden, die beide Seiten einander zugefügt haben, sind dafür allerdings beidseitig Konzessionen nötig, die über die Schmerzgrenze hinausgehen.
Das vorliegende Buch bietet zum ersten Mal eine Gesamtschau des Problems – sowohl eine Darstellung der historischen Entwicklung des Konflikts als auch eine Analyse der aktuellen Situation sowie Vorschläge zu einer Lösung, und kommt dabei zu überraschenden Ergebnissen.
Einleitung
In seinem Buch „One State, Two States“ stellt der israelische Historiker Benny Morris fest, das Judentum habe während der gesamten Zeit seines Exils seit dem 1. bzw. 2. Jahrhundert n. Chr. Palästina beständig nicht nur als sein „heiliges Land“, sondern auch als eine besondere politische Entität angesehen (Morris 2009, S. 32), wo nach der Auffassung der Zionisten des späten 19. Jahrhunderts die arabische Bevölkerung nichts anderes als „Eindringlinge“ darstellten, die das Land „gestohlen“ hätten. (Morris 2009, S. 36) Morris sagt es nicht ausdrücklich, doch stellen derartige Überlegungen nichts anderes dar als die Formulierung eines aus einer 2000 Jahre zurück liegenden Vergangenheit abgeleiteten „historischen Rechts“ des Judentums auf Palästina. Es wird nicht ganz deutlich, ob Morris diese Auffassung nur referiert oder ob er sie teilt; ein in seinem Buch genanntes Zitat könnte den Eindruck erwecken, Letztgenanntes sei der Fall. (Vgl. Morris 2009, S. 33 )
Man darf dies als Anlass nehmen, den Gedanken eines „historischen Rechts“ auf ein bestimmtes Territorium einen Augenblick lang etwas genauer zu betrachten bzw. zu Ende zu denken. Wenn das Existenzrecht des Staates Israel sich aus einem „historischen“ Anspruch des Judentums auf Palästina – innerhalb welcher geographischen Grenzen auch immer – ableitet, dann gilt dieser Gedanke selbstverständlich auch für andere: Welche Ansprüche könnte Italien oder, genauer, die Stadt Rom erheben – auf ganz West- und einen großen Teil Mitteleuropas bis zu den Britischen Inseln, auf den gesamten Mittelmeerraum und den Nahen Osten bis weit nach Mesopotamien hinein. Welche Ansprüche könnte der Iran erheben – auf ein Gebiet, das sich vom Kaukasus bis nach Ägypten, von Kleinasien bis Pakistan erstrecken dürfte. Welche territorialen Ansprüche könnten Griechenland oder dessen Region Makedonien bzw. der kleine Balkanstaat Mazedonien erheben? Und welche Perspektiven böten sich unter einer solchen Prämisse erst für die Mongolei?
Wir sehen, wenn wir nach einer Begründung für das Existenzrecht Israels suchen, sind wir wohl besser beraten, wenn wir uns auf die UN Teilungserklärung, die Resolution Nr. 181 vom 29. November 1947 beziehen. Hier haben wir ein völkerrechtlich gültiges Dokument, das alle Bedingungen erfüllt, um auch nur die Frage nach Israels Recht auf staatliche Existenz überflüssig erscheinen zu lassen. Doch Recht kann bestritten werden, es kann geändert werden, es kann gebeugt werden, es kann verzerrt oder gar in sein Gegenteil verkehrt werden, in jedem Fall kann und muss es immer wieder interpretiert werden. Gerade die Tatsache, dass Israels doch eigentlich klar formuliertes Recht auf staatliche Existenz noch heute immer wieder Anlass zu erbitterten Diskussionen und Debatten gibt, dass es von manchen Gruppen gar nach wie vor offen oder heimlich bestritten wird, sollte uns zur Vorsicht mahnen, uns ausschließlich auf völkerrechtliche Festlegungen zu verlassen.
Stattdessen wird hier Bezug auf eine Tatsache genommen, die merkwürdigerweise in der Israel- oder Nahost-Debatte kaum erwähnt wird. Wer zur Zeit der Staatsgründung Israels im Jahre 1948 geboren wurde, ist heute Mitte Sechzig, hat sein gesamtes Leben dort verbracht, hat dort eine Familie gegründet, Kinder groß gezogen, und sieht heute seine Enkelkinder aufwachsen. Wer im Jahre 1948 in Israel geboren wurde – und erst recht alle späteren Generationen – ist im lebenslangen Bewusstsein eines Staates Israel aufgewachsen und kann gar nicht anders, als sich diesem Staat zugehörig zu fühlen, als dieses Land mitsamt seiner Kultur und Gesellschaft als seine Heimat anzusehen. Ganz unabhängig von völkerrechtlichen Dokumenten – hätte irgendjemand ein Recht, diesen Menschen ihre Heimat zu nehmen, könnte irgendjemand ihnen das Recht auf diese Heimat bestreiten?
Allerdings darf man hier einwenden, dass das Recht auf Heimat der israelischen Nation auf Kosten des Heimatrechts eines anderen Volkes begründet wurde, des arabisch-palästinensischen Volkes nämlich, und dass daher dieses Recht auf Heimat tatsächlich auf Unrecht beruht. Diese Feststellung soll hier nicht bestritten werden. Doch was wären die Schlussfolgerungen aus einer solchen Erkenntnis? Das Naheliegendste wäre die Forderung nach Korrektur dieses Unrechts, nach der Wiederherstellung der ursprünglichen Verhältnisse. Doch ganz abgesehen davon, wie denn im vorliegenden Fall „ursprünglich“ zu definieren wäre, stellt sich die Frage nach den Implikationen einer solchen Forderung. Sie liefe nämlich auf nichts anderes hinaus als wiederum auf die Vertreibung des israelischen Volkes aus seiner Heimat. Wenn „Recht“ die Korrektur von Unrecht bedeutet, dann würde in einem solchen Fall „Recht“ geschehen. Wer wollte allerdings bestreiten, dass dieses „Recht“ hergestellt würde, indem neues, schweres Unrecht geschähe, indem neues, furchtbares Leid hervorgerufen würde. Will man Unrecht und Leid korrigieren, indem man neues, womöglich noch schlimmeres Unrecht und Leid schafft? Hätte irgendjemand das „Recht“, so etwas zu tun oder zu fordern?
Mit diesen Gedanken lässt sich nicht nur das Existenzrecht Israels anstatt von völkerrechtlichen Prämissen von der einfachen Frage nach dem Recht auf Wohlergehen der betroffenen Menschen ableiten, sie definieren gleichzeitig das Problem, mit dem sich das vorliegende Buch beschäftigt. Denn so wenig Israels Recht auf Existenz bestritten werden kann, so wenig kann auch bestritten werden, dass Gründung und Geschichte des Staates Israel mit schwerem Unrecht verbunden sind. Dieses Unrecht wirkt bis heute nach, und die Tatsache, dass es sich um ein Unrecht handelt, das bisher noch allen Versuchen, es in irgend einer Weise zu korrigieren oder zumindest erträglich zu machen, widerstanden hat, ist der Kern dessen, was wir heute als Palästina-Konflikt bezeichnen.
Wie lässt sich dieser Konflikt lösen? Um einer Antwort auf diese Frage näher zu kommen, muss man zunächst feststellen, dass alle bisherigen Versuche einer Lösung gescheitert sind, dass sie so gründlich und vollständig gescheitert sind, dass derzeit eine ehrliche Betrachtung der Situation nur noch allgemeine Ratlosigkeit konstatieren kann. Warum sind sie gescheitert? Eine der zentralen Thesen dieses Buches ist, dass sie scheitern mussten, weil man sich zu einer Lösung des Problems zunächst einmal der Natur dieses Konfliktes hätte bewusst werden müssen. Alle bisherigen Ansätze beruhen im Wesentlichen entweder darauf, das Existenzrecht Israels in den Vordergrund zu stellen – im Allgemeinen unter Bezug auf jenes entsetzliche Menschheitsverbrechen, das wir heute als den Holocaust bezeichnen – und darüber das Recht der arabischen Bevölkerung Palästinas aus dem Blick zu verlieren. Oder sie stellen eben das Leid des palästinensischen Volkes sowie das Unrecht, das diesem geschah, in den Mittelpunkt, ohne sich groß mit der Frage aufzuhalten, was eigentlich der Hintergrund der Gründung dieses Staates Israel ist. Dieser Konflikt entstand aus zwei gleichberechtigten, vitalen Interessen, nämlich dem Interesse der Juden Europas daran, der Bedrohung durch den europäischen Antisemitismus zu entkommen, und dem Interesse der arabischen Bevölkerung Palästinas, ihre Heimat zu behalten. Dies führt dazu, dass beide Seiten sich durchaus zu Recht als Unschuldige, als zu Unrecht Angegriffene sehen dürfen. Man könnte diesen Konflikt dem entsprechend als einen paradoxen Konflikt bezeichnen, denn dieses Paradoxon ist das, was ihn vor allem anderen kennzeichnet.
Die Natur des Palästina-Konfliktes kann nur verstanden werden, wenn man noch einmal seine historische Entwicklung betrachtet. Diesem Zweck dient der gesamte erste Teil des vorliegenden Buches. Dieser Teil beansprucht nicht, neue und bisher unbekannte Fakten zu präsentieren, sondern auf der Grundlage der bekannten Tatsachen sowie über eine kommentierende Darstellung zu einer neuen Interpretation des Konfliktes zu gelangen.
Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der zweite Teil dann mit dem Versuch, einen Ansatz zur Lösung des Konfliktes zu finden. Es zeigt sich, dass hierzu ein völlig neues Denken auf beiden Seiten notwendig ist, dass Überlegungen angestellt werden müssen, die bisher für die jeweilige Seite als undenkbar gegolten haben. Angesichts der Tatsache, dass alle bisherigen Herangehensweisen nicht zu einer Lösung des Problems geführt haben, müssen beide Seiten ihre jeweiligen Tabus überwinden, denn dieser seit mittlerweile annähernd einhundert Jahren andauernde Konflikt kann nur gelöst werden, wenn beide Seiten bereit sind, bisher als essentiell und unverzichtbar verstandene Positionen aufzugeben.
Es zeigt sich aber auch, dass dies für beide Seiten durchaus möglich ist, wenn man die Notwendigkeit dazu anerkannt hat. Es zeigt sich ebenso, dass eine unter solchen Vorzeichen ermöglichte Einigung zwischen Israel und den Palästinensern – i. e. die Gründung eines souveränen Staates Palästina, der in friedlicher Nachbarschaft mit Israel lebt – im gesamten Nahen Osten Perspektiven eröffnen würde, die nicht nur wünschenswert sind, sondern tatsächlich längst von den Akteuren der Region angestrebt werden. Eine konstruktive und tragende Rolle Israels scheitert bisher keineswegs daran, dass die arabischen Staaten sie etwa nicht akzeptieren wollten, sondern ausschließlich an der bisher ungelösten Palästina-Frage. Ist diese erst einmal gelöst, ergeben sich Konsequenzen, die gerade auch für das Problem des derzeitigen Vormachtstrebens des Iran von allergrößter Bedeutung wären.
Für die Zwecke des vorliegenden Buches genügte es, sich auf eine recht begrenzte Literaturauswahl zu beschränken. Neben anderen, ergänzenden Arbeiten konnte ich mich für den ersten Teil, die Darstellung der historischen Entwicklung des Konfliktes, auf die vielleicht beste bisher vorliegende Arbeit zu diesem Thema stützen, Benny Morris´ „Righteous Victims“, das in seiner Detailfülle, Gewissenhaftigkeit und – soweit überhaupt möglich – Objektivität als vorbildlich bezeichnet werden darf. Ähnliches gilt für Tom Segevs „One Palestine, Complete“, das die Geschichte des Konfliktes zwar nur bis zur Staatsgründung Israels im Jahre 1948 behandelt, aber anderen Veröffentlichungen – abgesehen von seiner schriftstellerischen Brillanz – einen beispielhaften Blick für die menschliche Dimension der Auseinandersetzung voraus hat. Für den zweiten Teil – die Betrachtung der aktuellen Situation – liegt naturgemäß nur eine äußerst beschränkte Auswahl an relevanter, verwendungsfähiger Literatur vor. Hier wurde neben der Berichterstattung der Tagespresse sehr stark auf im Internet verfügbare Quellen zurückgegriffen.
Alle Übersetzungen aus englischsprachigen Quellen stammen von mir.
Nichts berechtigt mich in besonderer Weise, ein solches Buch zu schreiben. Ich habe keine persönlichen Beziehungen zu Israel oder Palästina und bin daher an diesem Konflikt weder beteiligt noch persönlich von ihm betroffen. Das einzige, worauf ich verweisen kann, ist ein beinahe lebenslanges Interesse an dieser Frage, beginnend mit dem Sechstagekrieg im Juni 1967, als ich gerade neun Jahre alt geworden war. Dieses Interesse beruht allerdings darauf, dass ich mich an keinen Augenblick meines Lebens erinnern kann, an dem mir das, was wir heute als den „Holocaust“ bezeichnen, nicht bewusst gewesen wäre. Doch obwohl dieses Bewusstsein direkt mit der Geschichte meiner Familie zu tun hat, soll hier ein mögliches Missverständnis gleich ausgeschlossen werden: Meine Familie war in keiner Weise persönlich vom Holocaust betroffen.
Vielleicht aber ist gerade die fehlende persönliche Betroffenheit, die Möglichkeit, den Standpunkt des Beobachters einzunehmen, hier von Vorteil: Aus der Entfernung sieht man die Dinge manchmal klarer als aus unmittelbarer Nähe.
Ich bedanke mich bei Klaus Hödl von der Universität Graz für wertvolle Literaturhinweise besonders zu Theodor Herzl und der Geschichte des frühen Zionismus. Mein besonderer Dank gilt Ingrid Roß vom Büro Ostjerusalem der Friedrich Ebert Stiftung sowie Ralf Hexel vom Büro Herzliya der Friedrich Ebert Stiftung, die beide jederzeit bereit waren, mir in uneigennütziger Weise mit ihren Hintergrundkenntnissen zur Verfügung zu stehen. Weiterhin danke ich allen, die mir im Verlaufe der Arbeit an diesem Buch mit Tipps, Hinweisen und aufmunternden Worten behilflich waren.
Mirko Wittwar
Morsbach, im März 2013weiterlesen
24,80 € inkl. MwSt.
kostenloser Versand
lieferbar - Lieferzeit 10-15 Werktage
zurück