Die Klagebefugnis nach deutschem Recht vor dem Hintergrund der Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts
Produktform: Buch
Ulrich Baumgartner
Die Klagebefugnis nach deutschem Recht vor dem Hintergrund der Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts
300 Seiten. 2005. Preis: 30,00 Euro
ISBN 3-937231-44-7
Der Vormarsch der „Europäisierung“ hat mittlerweile das gesamte Rechtssystem der EU-Mitgliedstaaten erreicht. Das Verwaltungsrecht ist dabei den Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts in besonderer Weise ausgesetzt. Der Grund ist vornehmlich darin zu erblicken, dass die Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft überwiegend die innerstaatlichen Verwaltungsorgane als Adressaten bestimmen. In vorderster Linie sind es somit die nationalen Verwaltungsrechtssysteme, die dem europäischen Einfluss ausgesetzt sind. Dabei gerät auch der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz zunehmend in den Einflussbereich des Gemeinschaftsrechts.
Ein zentrales Problem des Verwaltungsprozesses und gleichzeitig der Punkt, wo die unterschiedlichen Konzeptionen des Gemeinschaftsrechts sowie zahlreicher Mitgliedstaaten am heftigsten aufeinander prallen, ist die Frage der verwaltungsprozessualen Klagebefugnis. Erstaunlicherweise ist bisher weitgehend ungeklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen gemeinschaftsrechtliche Rechtspositionen vor nationalen Gerichten einklagbar sind. Die vorliegende Arbeit untersucht – auch anhand eines Rechtsvergleiches der wichtigsten mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen – inwieweit das Gemeinschaftsrecht hier eine Neubestimmung des deutschen Systems des Verwaltungsrechtsschutzes erfordert.
§ 1 Ziele der Untersuchung
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf die Regelung des Zugangs zu den deutschen Verwaltungsgerichten zu untersuchen. Die Frage, wer vor Gericht klagen kann, stellt die in der Praxis entscheidende Weichenstellung bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Rechtsbehelfes dar. Modifizierungen der Initiativberechtigung haben weitreichende Konsequenzen für Qualität und Effektivität des gewährten Rechtsschutzes. Die Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts in diesem sensiblen Bereich gilt es daher eingehend zu analysieren. Im Folgenden sollen die bereits zu beobachtenden Veränderungen der deutschen Regelung der verwaltungsprozessualen Klagebefugnis untersucht und Möglichkeiten einer Integration aufgezeigt werden. Die Arbeit verfolgt dabei zwei voneinander zu unterscheidende, jedoch aufeinander aufbauende Ziele:
Zunächst soll gezeigt werden, in welcher Weise das Gemeinschaftsrecht zu einer Vermehrung der individuell einklagbaren Rechtspositionen beiträgt. Es ist der Frage nachzugehen, unter welchen Voraussetzungen Normen des Gemeinschaftsrechts individuell und vor nationalen Gerichten einklagbare Rechtspositionen generieren. Dabei ist zu unterscheiden zwischen transformationsbedürftigen Gemeinschaftsrechtsakten und solchen, die eine unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten entfalten. Im zuerst genannten Bereich rückt das nationale Recht in den Mittelpunkt, da innerstaatliches Umsetzungsrecht eingeklagt wird. Hier ist zu fragen, unter welchen Umständen europäisches Richtlinienrecht einen Auftrag an den deutschen Umsetzungsgesetzgeber enthält, im nationalen Recht einklagbare Rechte zu schaffen. Für das unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrecht stellt sich die Problematik anders dar: Hier gilt es zu zeigen, unter welchen Voraussetzungen derartige Normen direkt vor deutschen Verwaltungsgerichten einklagbar sind.
Die Durchsetzungsproblematik gemeinschaftsrechtlich imprägnierter, subjektiver Rechte stellt sich also auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Es existieren, anders ausgedrückt, zwei Kategorien subjektiver Rechte aus Gemeinschaftsrecht: Zum einen subjektive Rechte, die aus der unmittelbaren Wirkung von Primär- und Sekundärrecht, also aus dem Gemeinschaftsrechtsakt selbst folgen. Zum anderen individuelle Rechte, die ihren Ursprung im Richtlinienrecht haben, jedoch erst durch Transformation auf mitgliedstaatlicher Ebene zur Entstehung gebracht werden müssen. Beide Fragestellungen wurden bislang insbesondere im Umwelt- und Vergaberecht akut. Diese Rechtsmaterien stehen daher auch im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung. Die praktisch wichtigste Darstellungsform des Gemeinschaftsrechts ist dabei die Richtlinie. In einem zweiten Schritt soll gezeigt werden, auf welche Art und Weise mit solcherart identifizierten, individuell einklagbaren Rechtspositionen im System des deutschen Verwaltungsprozessrechts umzugehen ist. Es stellt sich für jede Art von Gemeinschaftsnorm – unmittelbar wirksam oder transformationsbedürftig – die Frage, ob eine Gleichstellung solcher Rechte mit einem subjektiv-öffentlichen Recht deutscher Prägung zwingend geboten ist oder ob sich nicht auch andere Lösungsmöglichkeiten anbieten. Da es sich um eine rein nationalrechtliche Fragestellung handelt, hat die europäische Rechtsprechung in diesem Zusammenhang nur eingeschränkte Bedeutung. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es dabei, einen Rezeptionsmodus zu entwickeln, der eine effektive Integration der europäischen Vorgaben ermöglicht. Die denkbaren Alternativen reichen dabei von einer unveränderten Beibehaltung der Schutznormlehre bis hin zu deren völliger Aufgabe.
Von der Problematik der Initiativberechtigung abgesehen manifestiert sich der Einfluss des Gemeinschaftsrechts außerdem in zwei weiteren Teilbereichen des nationalen Verwaltungsprozessrechts: Sowohl der Komplex des einstweiligen Rechtsschutzes als auch die Frage der gerichtlichen Kontrolldichte verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen sind teilweise detaillierten europäischen Vorgaben unterworfen.
Diese Bereiche sollen jedoch im Folgenden weitgehend ausgespart bleiben. Lediglich die Frage einer Absenkung der gerichtlichen Kontrolldichte wird abschließend aufgrund ihrer Sachnähe überblicksartig behandelt.
§ 2 Gang der Untersuchung
Die angestrebte europäische Rechtsgemeinschaft lässt ein Bedürfnis nach einheitlicher Rechtsanwendung entstehen. Rechte aufgrund gemeinschaftlicher Normen müssen in sämtlichen Mitgliedstaaten gleichermaßen einklagbar sein. Die Kriterien zur Identifikation klagefähiger Rechtspositionen aus Gemeinschaftsrecht sind folglich gemeinschaftsweit einheitlich zu bestimmen. Aus diesem Grunde ist es notwendig, sich zunächst über die entsprechenden Maßstäbe der prägenden nationalen Rechtsordnungen in der Europäischen Union sowie des Gemeinschaftsrechts Klarheit zu verschaffen. Diesem Ziel dient das erste Kapitel. An einen Überblick über die Bedeutung des subjektiv-öffentlichen Rechts im deutschen Verwaltungsprozessrecht schließt sich eine Darstellung der Initiativberechtigung im französischen und englischen Recht sowie der entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Dogmatik im Bereich der Eigenverwaltung an.
Das zweite Kapitel geht der Frage nach, welche Vorgaben das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten in bezug auf die Ausgestaltung des nationalen Rechtsschutzes macht, sobald der mittelbare Vollzug gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften betroffen ist. Außerdem ist hier der Frage nachzugehen, was aus Gemeinschaftssicht unter einem subjektiven, einklagbaren Recht zu verstehen ist.
Im Anschluss an diese vorbereitenden Ausführungen wird in Kapitel drei ein Kriterienraster entwickelt, um diejenigen Fälle zu bestimmen, in denen europäisches Richtlinienrecht die nationalen Gesetzgeber verpflichtet, im Wege der Umsetzung im innerstaatlichen Recht einklagbare subjektive Rechte zu verankern. Der Analyse der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie der relevanten Literaturstimmen folgt die Formulierung eines eigenen Vorschlages.
Das vierte Kapitel folgt diesem Aufbau, indem es für den Bereich unmittelbar wirksamer Gemeinschaftsrechtsnormen zu ergründen sucht, unter welchen Voraussetzungen solchen Vorschriften einklagbare individuelle Rechtspositionen entnommen werden können. Vorangestellt ist dem Kapitel eine Untersuchung der logisch vorrangig zu beantwortenden Frage, ob der Individualbezug einer Gemeinschaftsnorm nicht bereits Voraussetzung ihrer unmittelbaren Wirkung ist.
Das fünfte Kapitel geht dann der Frage nach, wie die derart als einklagbar identifizierten gemeinschaftlichen Rechte in das deutsche System des Verwaltungsrechtsschutzes zu integrieren sind. Wiederum unterteilt in umsetzungsbedürftiges und unmittelbar wirksames Gemeinschaftsrecht wird ein Vorschlag erarbeitet, welche Veränderungen im Bereich der verwaltungsgerichtlichen Klagebefugnis vonnöten sind, um die europäischen Einflüsse aufnehmen zu können. Dabei ist sowohl den Vorgaben des deutschen Verfassungsrechts als auch des Gemeinschaftsrechts Beachtung zu schenken.
Den Abschluss der Arbeit bildet neben einer Zusammenfassung der Ergebnisse ein Überblick über die Konsequenzen der hier vorgeschlagenen Modifizierung der verwaltungsgerichtlichen Initiativberechtigung.weiterlesen